Ein Interview mit zwei Leuten, die darüber ein Buch geschrieben haben
Daraus mal nur nur einige wenige Zitate, weil das sehr lang ist ... das ganze Interview findet Ihr im Link ganz unten:
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Bei den Ausschreitungen in Chemnitz,
die viele erschütterten, wurde auch immer wieder die ostdeutsche
Kanzlerin Angela Merkel beschimpft. Warum ist Merkel ausgerechnet bei
den Ostdeutschen so unbeliebt?
Jana Hensel: Bei einigen Ostdeutschen ist
sie das, nicht bei allen, da muss man differenzieren. Und ich bin mir
nicht sicher, ob der Protest wirklich etwas mit ihr als Person zu tun
hat. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben im Osten immer dazu
gedient, das ganze System infrage zu stellen. Das ist im Westen anders,
dort lassen sich rassistische Einstellungen durchaus in ein
demokratisches Miteinander einordnen. Angela Merkel steht nun einmal
stellvertretend für diesen Staat. Aber gleichzeitig ist sie auch eine
Spiegelfigur eines jeden Ostdeutschen, jeder positioniert sich zu ihr
und vergleicht sich. Sie hat als eine von uns Weltkarriere gemacht, ohne
sich auf ihre Wurzeln je besonders berufen zu haben, das irritiert,
verhindert Loyalität. Außerdem ist sie eine Frau, das spielt auch eine
Rolle, denn der Protest von rechts hat ja eine männliche Seele.
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In Ihrem Buch wird deutlich, dass Sie
bei der Beurteilung der Nachwendezeit recht nah beieinander liegen, der
Scheidepunkt ist das Jahr 2015, da gehen Ihre Meinungen auseinander.
Stehen Sie für die zwei Seiten des Ostens?
Hensel:
Der Einzug der AfD in den Bundestag im vergangenen Jahr war ein Schock,
auch für uns. Daraufhin kam die Idee zu dem Buch. Es war uns wichtig,
den Osten nicht aus der DDR heraus zu erklären, sondern den Fokus auf
die Nachwendezeit zu legen. Da vollziehen wir einen Paradigmenwechsel.
Wir müssen uns alles noch mal neu anschauen, weil wir eine gigantische
Emanzipationsbewegung von rechts erleben. Eine Revolte.
Engler:
Uns war auch wichtig, unsere Meinungen nicht zu glätten. Der Streit, da
muss man gar nicht nach Chemnitz gucken, ist in Ostdeutschland sehr
verbreitet. Das geht seit der Flüchtlingskrise durch Familien.
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Gibt es dreißig Jahre nach dem Mauerfall ein ostdeutsches „Wir“ überhaupt, wie es im Untertitel Ihres Buches heißt?
Engler: Das wird uns bestimmt um die Ohren gehauen.
Hensel:
Wir sind uns bewusst, dass das eine rhetorische Figur ist. Aber eines
unserer Hauptanliegen war ja tatsächlich, die ostdeutsche Gesellschaft
in der Breite ihrer Erfahrungen nach 1989 zu beschreiben. Dabei legen
wir den Fokus auf die Nachwendezeit, weil wir glauben, dass hier jene
Erfahrungen gemacht wurden, die uns die heutige Situation besser
verstehen lassen. Anders gesagt: Wir glauben, mit der DDR lassen sich
viele Phänomene nur noch bedingt erklären. Der Systemwechsel, die
Umwandlung aller politischen und kulturellen Werte, der wirtschaftliche
Kollaps in den Neunzigerjahren, der Eliten-Austausch und die Abwanderung
vieler Ostdeutscher, das sind die entscheidenden Erfahrungen, die die
ostdeutsche Identität bis heute prägen.
Wenn wir von Emanzipation reden, denken wir meist an Bewegungen von links. Warum brauchte der Osten eine Bewegung von rechts?
Hensel:
Das hat mit der komplexen sozialen und wirtschaftlichen Lage im Osten
zu tun. AfD und Pegida sind keine Anti-Globalisierungsbewegungen,
sondern De-Globalisierungs-Bewegungen. Man will die Globalisierung nicht
ökonomisch einhegen, sondern emotional aufhalten, indem man zum
Beispiel Flüchtlinge – als sichtbares Zeichen der Globalisierung – außen
vor lässt. Dass der Protest von rechts kommt, hat auch etwas mit der
mangelnden Repräsentanz zu tun. Die Linkspartei steht für die
Bewältigung der DDR-Biografien, die AfD für die Nachwende-Erfahrung.
Nicht zuletzt ist der Rechtsruck Ausdruck einer globalen Bewegung, von
Trump, Brexit bis Orban. Der Ossi internationalisiert sich, er findet
endlich aus einer Art Isolation heraus.
Engler:
Eine Facette dieses Lagerwechsels ist auch: Die Linkspartei laboriert
seit Jahren an einer bundesdeutschen Wirksamkeit, kommt aber nie über
zehn, zwölf Prozent hinaus. Und da denken die Leute: Wenn wir so nicht
gehört werden, schwenken wir eben um.
Hensel: Genau, es geht um Einflussnahme.
Engler:
Meine Befürchtung ist, dass diese Bewegung von rechts schwer zu stoppen
ist. Was ist, wenn die AfD nächstes Jahr in Sachsen stärkste Partei
wird? Dann wird es womöglich eine Volksfront dagegen geben, aus CDU,
Linken, SPD und Grünen. Das bestärkt dann all jene, die AfD gewählt
haben, in ihrem Gefühl, dass sie nicht gegen die anderen ankommen.
Hensel:
Nein, ich glaube das nicht. Auch die AfD wird die Ostdeutschen
letztlich enttäuschen, sie meint sie ja nicht wirklich, sie benutzt sie
nur.
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Bei allem Verständnis für die
Enttäuschungen der Nachwendezeit. Warum nimmt man in Kauf, Seite an
Seite mit brüllenden Nazis zu stehen?
Hensel:
Die Frage, die dahinter steht, ist: Warum nimmt man die eigene
Hässlichkeit in Kauf? Das hat etwas mit Alltagskultur zu tun. Wir sehen
die Bilder von Chemnitz und denken an Rostock-Lichtenhagen 1992. Da
spielt sich vieles ab, was wir kennen, was sich verfestigt hat.
Rassismus ist zur Alltagskultur geworden. Das mag für Sie und für mich
abstoßend sein, aber in bestimmten ländlichen Gegenden gilt es als cool.
Engler:
Wir warnen ja gern, dass die Menschen sich von den Rechten nicht
instrumentalisieren lassen sollen. Aber diese Warnung wird als
überheblicher moralischer Appell wahrgenommen. Wir sind nicht blöd, das
nehmen wir in Kauf, lautet die Reaktion.
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Engler: Pegida ist keine
Verlierer-Bewegung. Die Träger sind Menschen, die ganz gut ausgebildet
sind, gut verdienen. Das zeigt die Erosion der bürgerlichen Mitte. Diese
Mitte bekommt immer mehr Probleme, sich zu behaupten. Diese Menschen
haben Abstiegsangst, und das macht sie verrückt. Ich kenne lauter gut
situierte Leute, die von heute auf morgen aus ihrer Wohnung geflogen
sind. Die Wohnungsfrage ist die zentrale Frage heutiger Sozialpolitik.
Wenn das so wäre, hätten die Linken und die SPD aber bei der letzten Wahl besser abschneiden müssen.
Engler:
Stimmt, und das zerreißt die Parteien ja auch. Ich erinnere mich an
einen Auftritt der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping nach einer
Landtagswahl im Osten, wo sie sinngemäß sagte: „Wenn man politisch Kurs
hält, verliert man halt Wähler.“ Das kann man doch nicht ernsthaft
sagen! Die Leute, die euch nicht mehr gewählt haben, waren seit dem
Umbruch dabei, sie sahen in euch die Kümmerer. Dann gibt es den anderen
Flügel, der von Sahra Wagenknecht und meinem Kollegen Bernd Stegemann
vertreten wird, die sagen: Das kann nicht gut gehen. Das ist der Anlass
für die neue Sammelbewegung „Aufstehen“.
Sind Sie da mit dabei, Herr Engler?
Engler:
Ich sehe mich als Sympathisant und Unterstützer, habe mich auch zweimal
mit Frau Wagenknecht getroffen. Man muss die Menschen, die sich von den
Linken abgewendet haben, nicht idealisieren. Manche Arbeiter mögen
keine Migranten, Migranten, die schon länger hier sind, mögen keine
Neuankömmlinge.
Frau Hensel, was halten Sie von der Bewegung „Aufstehen“?
Hensel:
Tatsächlich glaube ich auch, dass die linken Parteien, also Linke, SPD
und Grüne, sich als große integrative Kraft gegen den Rechtsruck stemmen
müssen, dass man also eigentlich sammeln müsste, was längst da ist.
Eine neue Gruppe, eine neue Bewegung erreicht doch nur das Gegenteil,
noch mehr Zersplitterung.
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Der Liedermacher Gundermann, dessen
Leben gerade ein Film feiert, schrieb in den 90er-Jahren ein Lied über
den Osten. Darin heißt es: „Hier sind wir noch Brüder und Schwestern,
hier sind die Nullen ganz unter sich. Hier ist es heute nicht besser als
gestern und ein Morgen gibt es nicht.“ Ist das eine korrekte
Beschreibung des Ostens?
Engler: Ich habe den Film noch nicht gesehen, aber die raue Poesie von Gundermanns Liedern traf seit je einen Nerv bei mir.
Hensel: Bei Gundermann haben solche Sätze einen poetischen Charme, aber nein, die Realität ist enorm vielfältiger.
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Wer alles lesen möchte, schaut bitte dann in den Link unten rein.
LG
Renate
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