Montag, 24. September 2018

Über Päckchen-Beziehungen vor und nach der Wende in Deutschland

Wir kennen mehr Leute, die Ähnliches erzählt haben


Ich möchte als Einleitung dazu mal einen kleinen Textausschnitt aus meinem letzten Beitrag vor diesem über die deutsch-deutsche Handelsgeschichte übernehmen:
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 Die Bürger glaubten der Regierung immer weniger. Bananen und Apfelsinen gab es im Winter nur selten. Und wenn dann vor allem in Berlin, der „Hauptstadt der DDR“ und damit dem Schaufenster des Regimes. „Westpakete kompensierten die Versorgungsmängel in einem beträchtlichen Ausmaß“, schreibt Schroeder in seinem Buch „Der SED-Staat“. „Allein im Jahr 1988 schickten Westdeutsche 28 Millionen Päckchen und Paketsendungen in einem Gesamtwert von 5,3 Milliarden Mark in die DDR.“ Das entsprach in etwa vier Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes, bei Textilien und Bekleidung sogar 24 Prozent. „Der in der DDR verzehrte Kaffee stammte zu etwa 20 Prozent, die Damenstrumpfhosen zu 30 Prozent und die Damenoberbekleidung zu fast 20 Prozent aus Westpaketen.“
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 Ich schrieb schon da, wir gehörten auch zu den Leuten, die ganz intensive Beziehungen in den Osten pflegten, alleine schon wegen der Päckchen-Schickerei . .aber auch laufenden Besuchen drüben mit Einkaufen gehen mit Westgeld, was mitbringen natürlich und so weiter.

Entstanden ist das in meiner eigenen Familie einfach durch die Geschwister-Beziehungen meines Großvaters nach Ost-Berlin, wo eben manche seiner Leute geblieben waren.

Als die Wende anstand, gab es weder noch meine Großeltern noch ihre Geschwister, aber es gab natürlich noch immer Verwandte aus dieser Blutslinie und mit denen ganz enge Päckchen- und Besuchs-Kontakte.

Das gab es übrigens auch bei Jürgens Ex-Frau mit genauso dann schon eher entfernteren Verwandten, genauso wie bei uns entstanden aber über die engen Verwandtschaftsbeziehungen zur Zeit des Mauerbaus.

Wie ich ja auch schon sagte, ich glaube, die meisten Menschen in Westdeutschland hatten keinerlei negative Gefühle, als es darum ging, "unsere Brüder und Schwestern" aus der DDR drüben zu retten, die wir für Gefangene eines schrecklichen Unrechts-Staates gehalten haben und ihnen nur haben helfen wollen . genauso wie auch alle, die ihre Päckchen-Kontakte hatten, ja damit.

Und nun komme ich zu der riesengroßen Enttäuschung, die wir mit unseren Päckchen-Kontakten nach der Wende erlebt haben .. ich selbst und auch mein 2. Mann Jürgen. Und wie gesagt, es haben uns schon viele andere Leute aus dem Westen genau das Gleiche über ihre ehemaligen Päckchen-Kontakte berichtet, von denen sie dachten, sie würden genauso geliebt wie es umgekehrt ja der Fall gewesen ist .. denn sonst hätte man ja nicht laufend eine Menge Geld dafür ausgegeben, den Leuten im Osten auf diese Weise zu helfen.

Zuerst mein Erlebnis damit nach der Wende:

Mama hatte vor der Flucht ja auch im Osten gelebt. Also mieteten wir uns kurz nach der Wende ein Wohnmobil und gingen mit der ganzen Familie auf Erkundungstour durch die Dörfer, wo meine Mutter vor dem Krieg in der Ex-DDR mal zu Hause gewesen war. Wir waren eine ganze Weile unterwegs. Ich glaube, wir hatten das Wohnmobil eine ganze Woche gemietet.

Nun waren wir aber doch schneller überall gewesen als geplant und an einem Samstag-Nachmittag in der Nähe von Berlin, also dem ehemaligen Ost-Berlin, nun ja wieder freien Gesamt-Berlin.

Das Wohnmobil mussten wir erst am Sonntag-Abend oder Montag-Morgen zurückbringen. Wir hatten also spontan noch eine ganze Menge Zeit.

Unser letzter Päckchen-Ost-Kontakt bestand in der einen Tochter und dem Ehemann einer der Schwestern meines Opas, die dann immer alles an den Rest der Familie in Ost-Berlin verteilt haben oder aber wo wir auch meistens alle trafen, wenn wir drüben gewesen waren, nämlich in deren Wochend-Anwesen. Anwesen ist nicht übertrieben. Unsere alte Tante Grete hatte über diese ihrer Töchter und ihren Mann immer gesagt, sie wären bei der Stasi und würden sich, was Tante Grete nicht gut fand, so viele Vorteile verschafft haben wie dieses Grundstück mit mehreren Häuschen drauf .. ein West-Auto und vieles mehr.

Wir dachten uns, fahren wir da doch mal vorbei. Es ist Wochenende, vielleicht sind sie ja auf ihrem Wochenendgrundstück in Berlin und freuen sich, uns zu sehen. Wir gingen davon aus, dass sie sich freuen würden, uns zu sehen. Es bestand keine Not, bei ihnen zu schlafen. Es bestand auch keine Not, bei ihnen zu frühstücken oder so .. wir hatten ja das Wohnmobil, genug Proviant und alles dabei.

Was wir natürlich nicht dabei hatten, denn wir waren ja nun "ein Volk", waren viele Geschenke, Westgeld zum Einkaufen in diesen West-Shops und so weiter und so fort .. wir kamen einfach spontan zu Besuch.

Ich habe mich selten bei einem Besuch so unwohl gefühlt. Sie ließen uns tatsächlich in einem der Wochenendhäuser schlafen .. was wie gesagt gar nicht nötig gewesen wäre .. Schlafplätze hatte das Wohnmobil ja genug ..und es gab am nächsten Morgen sogar Frühstück umsonst .. mit einer Laune, die nicht zu beschreiben war ...keiner von uns wäre da noch auf die Idee gekommen, den Rest des Tages noch dort zu bleiben, obwohl wir noch stundenlang Zeit dazu gehabt hätten.

Ich glaube, ich habe danach noch wie immer ab und zu Ansichtskarten geschickt. Auf die Idee, dieses Paar nochmal zu besuchen, ist keiner von uns danach nochmal gekommen .. aber selbst auf die Post von uns kam nach der Wende keine Antwort mehr.

Könnt Ihr Euch vorstellen, dass man sich nach so einer Erfahrung wirklich mehr als "ausgenutzt" fühlt.

Wir haben übrigens auch vom Rest der Familie nach der Wende nie mehr eine Rückmeldung erhalten .. die ja auch immer Adressaten besagter Päckchen und auch früherer Besuche gewesen sind .. und viele Wünsche hatten vor der Wende, die gar nicht billig gewesen sind.
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Nun das Erlebnis meines Mannes Jürgen und seiner Ex-Frau und Familie.

Bei Jürgen gab es wie gesagt entfernte Verwandtschaft seiner Ex-Frau, auch vor der Wende reichlich verwöhnt mit den typischen West-Päckchen.

Auch Jürgen und seine Familie kamen eher zufällig bei einer Auto-Tour in der Nähe der Wohnung dieses ehemaligen Ost-Kontaktes vorbei ... sie hielten an, hätten sich gefreut, mal eine Toilette benutzen zu können, vielleicht eine Tasse Kaffee zu trinken, bisschen zu schnacken und dann weiterzufahren .. es handelte sich auch nur um einen kleinen Spontan-Reinschau . .nicht mehr.

Als sie klingelten, sahen sie jemand hinter der Gardine aus dem Fenster schauen .. aber es hat ihnen von dieser Familie nichtmal einer auch nur die Tür aufgemacht.

Übelst enttäuscht über so viel Unfreundlichkeit stiegen sie wieder ins Auto ein, suchten die nächste Raststätte mit Toilette und bestellten sich halt da ihren Kaffee.

Auch da war der Kontakt in den Osten schlagartig nach der Wende vorbei und Jürgens Ex-Frau hat sich genauso ausgenutzt gefühlt wie meine Mama, mein Ex und ich es damals taten.
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Tja ... und genau das gleiche Schema haben viele Leute aus dem Westen mit ihren Ost-Päckchen-Kontakten nach der Wende erlebt.

Als jemand, der einfach nur so ohne Geschenke Kontakt halten wollte, war man nicht mehr interessant.

Die Gräben zwischen Ost und West sind heute sicherlich tiefer .. aber auch solche Sachen haben ganz bestimmt dazu beigetragen, dass viele Menschen nach der Wende übelst enttäuscht vom Osten gewesen sind.

Urlaubsreisen ohne Besuche ehemaliger Verwandten und schon ganz früh nach der Wende lauter rechtsradikalen Sprüchen auf Mauern und Hauswänden dürften ein übriges dazu beigetragen haben .. denn auch das haben wir ohne darauf vorbereitet zu sein, bei den ersten Erkundungstouren durch die Ex-DDR dann so gesehen und uns gefragt, oh Gott, was ist denn hier los?

LG
Renate

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