Was ist nur in dem Land los, in dem ich mal geboren wurde?
Wenn man das liest, wird einem ganz anders.
Weg mag, tut sich das vielleicht mal ganz an.
Ich werde nur ein paar Textauszüge daraus hierher übernehmen.
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Der falsche Mensch
Als Journalistin bin ich nach Sachsen gezogen, um die
Region kennenzulernen. Ich habe gelernt: Das Bundesland wird
unterschätzt. Auch in seiner Fremdenfeindlichkeit.
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Ich lebe jetzt in Sachsen.
Und ich habe mich noch nie so fremd gefühlt wie hier. Nicht in Berlin,
wo ich herkomme, nicht, als ich in Reutlingen wohnte, nicht als ich in
Italien oder Ungarn war. Aber hier, mitten in meinem Heimatland, tue ich
es.
Einen meiner ersten
Eindrücke von Sachsen hatte ich im Mai 2017 in der Erzgebirgsbahn. Ich
saß mit meinem prallen Reiserucksack neben dem Fahrkartenautomaten. Ich
wollte nach Aue, ins Erzgebirge. Es war ein warmer Sommertag. Die Bahn
schlängelte sich entlang des Flüsschens Mulde, links davon weite Felder,
in der Ferne Berge. Mir gegenüber tuscheln zwei Frauen, so, wie es
aussieht, Mutter und Tochter. Sie beäugen mich. Ich lächle sie an. Der
Zug verlangsamt, hält. Die zwei stehen auf, kurz vor der Tür drehen sie
sich um. Die Ältere sagt: "Sie sind aber auch nicht von hier." Die
Jüngere antwortet für mich: "Das ist sicher eine falsche Deutsche."
Damit verschwinden sie.
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Ich schlucke. Eine falsche Deutsche.
Was heißt das? Weil ich für den Sachsen als Berlinerin aus dem Westen
komme? Oder habe ich in ihren Augen ausländische Züge? Spielt das beides
überhaupt eine Rolle?
Ich komme aus einem
Umfeld, in dem eben das nicht wichtig ist, wo Taten über Herkunft
stehen. Aber ebenso wie mir die Frauen im Zug mit Vorurteilen begegnet
sind, begegne ich auch ihnen. Ich bin in Sachsen und für mich liegt
nahe, dass die Formulierung "falsche Deutsche" Ausländerhass und
Abneigung gegenüber dem Westen heißt, ohne dass ich nachgefragt habe.
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Im Januar fing ich bei einer sächsischen Lokalzeitung an. Um einen
ersten Eindruck zu bekommen, besuchte ich den Jahresempfang der Großen
Kreisstadt: "Das Flüchtlingsheim ist nun doch nicht mehr nötig – wir
werden keine weiteren Flüchtlinge bekommen. Und die schon da sind, sind
verteilt. Wir haben die Flüchtlingskrise überwunden. Ein Glück", sagt
der Oberbürgermeister. Er wird beklatscht und das Glück mit einem
Schluck Bier heruntergespült. Wenig später werden acht Bürger der
Gemeinde geehrt, wie jedes Jahr. Als Letzte stehen zwei Frauen auf. Sie
haben sich für Geflüchtete engagiert. Dass sie dafür einen Strauß und
eine Urkunde bekommen, ist ihnen sichtlich unangenehm.
"Hier, die Lügenpresse"
In
der kommenden Woche sollte ich alle acht Geehrten porträtieren. Doch
diese beiden Frauen waren am Ende nicht dabei. Schon nach ein paar
Minuten des Interviews, das wir wenige Tage später führen wollten, sind
sie aufgestanden und gegangen. Selbst wenn ihre Namen und ihre Gesichter
nicht gedruckt werden würden, haben sie zu große Angst. "Schon jetzt
werfen die Nachbarn Hundescheiße in meinen Garten", sagt die eine.
Gerne hätte ich über
die Unterstützung der Ehrenamtlichen für Geflüchtete in der Region
geschrieben. Doch dafür muss auch jemand mit mir sprechen. So jemanden
zu finden ist gar nicht so einfach. Jedes Gegenüber merkt schnell am
fehlenden Dialekt, dass ich eine Fremde bin – und dann auch noch
Journalistin. Schwierig.
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Das ist neu für mich. Lokaljournalismus kenne ich zwar von meiner Arbeit
als freie Autorin in Baden-Württemberg und Berlin. Dort hat man sich
aber gefreut, wenn die Presse zu Abendterminen erschien. Hände wurden
geschüttelt, man sprach auf Augenhöhe, auch wenn es mal Unbequemes war.
Hier ist das anders. Hier muss ich fast jedes Mal erst um das Vertrauen
kämpfen, damit jemand mit mir offen redet. Und das heißt noch lange
nicht, dass ich respektiert werde. Mal bekomme ich eine falsche Info,
mal wird der Hörer weitergereicht und vernehmlich im Hintergrund gesagt:
Hier, die Lügenpresse, kommt nicht von hier, Westen, musst dir also
keine Mühe geben.
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Unser Nachbar, auch ein Sachse, pflegt zu sagen: "Verwirr mich nicht mit
Tatsachen, meine Meinung steht fest. Der Sachse will glauben, dass die
Presse die Marionette des Staates ist."
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Ich lehne an einem Hamburger Gitter, das die beiden Seiten optisch
voneinander trennt. Vor mir laufen drei bullige Männer auf und ab und
feixen, zeigen den "Zecken" mit einer Hand den Mittelfinger, die andere
ist zur Faust geballt. Beide Parteien heizen sich gegenseitig auf. Die
drei Gestalten kenne ich, zwei von ihnen gehören der rechten Szene an,
den Dritten konnte ich gestern noch in einem Video beobachten, wie er
auf eine Kollegin losging. Ich stehe da, deutlich erkennbar als Presse
und habe eigentlich keine Lust auf Konfrontation. Aber wegen dieser drei
weggehen? Nein. Ich erinnere mich, was mir ein Bekannter vor meinem
ersten Demobesuch in Sachsen riet: Stark bleiben und keine
Angriffsfläche bieten. Das ist der Moment, in dem sich der Typ aus dem
Video vor mir aufbaut: "Nimm die Kamera runter, du Scheißassi", keift er
mich an. Meine Spiegelreflex baumelt um meinen Hals, ich habe sie nicht
in der Hand. Ich versuche, weiterhin cool an dem Gitter zu lehnen.
Tippe scheinbar unglaublich wichtige Notizen in mein Handy. Vor mir der
Typ. Ich lunze auf die Tattoos, die seine Gesinnung offen zeigen. Er ist
sicher 1,90 groß. Ich keine 1,60. Er fuchtelt. Eine Ader pulst heftig
auf seiner Glatze. Fehlen nur noch die Spuckefetzen, die durch die Luft
fliegen, denke ich. Das erinnert mich an eine Handytarifwerbung von
Simfinity, da schütteln die Hunde sich ganz ähnlich. Witzig. Ich schaue
wieder aufs Handy, tippe "Werbung mit Hund" und "Spucketropfen" ein.
Dabei knallt mir der Mann noch einmal "Lügenpresse", "zeckenbezahlt" und
"Verpiss dich, du Fotze!" an die Stirn. Dann zieht er ab. In meinen
Kopf habe ich es lustig konstruiert, erträglich. Aber das war es nicht.
Mein Herz pocht. Ich bin froh, dass ich am Geländer lehne.
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Auch wir Journalisten sind nur Menschen. Man muss sich eine dicke Haut zulegen, wenn man auf solche Demonstrationen geht. In einem Beitrag auf Spiegel online
sagt der Reporter am Ende des Berichtes zum 1. September, dass sich das
Redaktionsteam mit Anbruch der Dunkelheit zurückgezogen habe, weil sie
das Gefühl hatten, sich nicht mehr sicher bewegen zu können. Und damit
kann Berichterstattung auch enden, leider. Das sollte in einem
demokratischen Land nicht sein, zumindest nicht bei einer Veranstaltung,
die als Trauermarsch angemeldet war.
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Wenige Tage später unterhalte ich mich mit einem Kollegen über die
Situation. Der Reporter ist ein paar Jahre älter als ich und arbeitet
schon seit langem in der Region. Er war bei der zweiten Demonstration
dabei. Danach lehnte er alle weiteren Termine ab, bei denen er wieder
auf die Demonstranten hätte treffen können. Er sagt: "Natürlich kennen
die Rechten mich. Sie kennen meinen Namen, wo ich arbeite, wo ich wohne
und wahrscheinlich wissen sie auch, dass ich Kinder habe. Und die sollen
nicht so konfrontiert werden wie ich." Ich frage mich, wie so eine
neutrale Berichterstattung möglich sein kann.
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Ich lebe jetzt in Sachsen. Ich
verstehe vieles nicht, aber meistens bin ich gerne hier. Viele denken
anders als ich, das zeigen schon die Wahlergebnisse. Aber dass sie
anders denken, bedeutet ja nicht, dass sie es nicht wert seien, dass man
ihnen zuhört. Ich halte es für wichtig, hinzuschauen, damit die
Situation nicht unterschätzt wird. Gerade blicken alle wieder auf
Sachsen, weil Sachsen am lautesten schreit. Aber rechtes Gedankengut
gibt es nicht nur dort.
Anmerkung der Redaktion: Zur Wahrung ihrer Anonymität sind Personen
in Details verfremdet
beziehungsweise werden nicht namentlich
genannt. Auch der Name der Autorin ist ein Pseudonym.
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Tja ... schon krass dieser Bericht, nicht?
Wie gesagt oben ist der Link zu dem kompletten Text ... nicht nur diese Textausschnitte sind krass, der ganze Bericht ist es.
LG
Renate
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