Montag, 3. September 2018

Der Direktor der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, Frank Richter erklärt die besondere Problematik in Sachsen ...

... also warum die Probleme, die allgemein in Deutschland und auch Europa da sind, von den Sachsen stärker wahrgenommen werden

Also in dem Link unten geht es darum, warum die Sachsen so besonders große Probleme haben, mt den allgemeinen Problemen, die wir eigentlich alle haben, klarzukommen und deshalb auf diese rassistische Art und Weise, die wir gerade erleben, reagieren.

Wieder ein paar Auszüge .. alles bitte unten im Link nachlesen:
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SZ: Es wird Ihnen nachgesagt, ein "Versteher" zu sein. Verstehen Sie, was in Chemnitz passiert ist? Wie es zu so einer Eskalation kommen konnte?
Frank Richter: Zuerst muss ich klarstellen, dass der tragische Todesfall ein Einzelfall ist, den Polizei und Staatsanwaltschaft aufklären müssen. Es ist wichtig, dass das schnell und konsequent geschieht.
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Aber wir wissen seit vielen Jahren, dass es am rechten Rand der Gesellschaft eine zunehmende Gewaltbereitschaft gibt. In der Bevölkerung existiert ein Sockel autoritärer Denk- und Verhaltensmuster, die sich in verbaler und auch in physischer Gewalt entladen können. Nicht nur in Sachsen, aber dort sind diese Muster besonders ausgeprägt. Das hat sich in Chemnitz jetzt wieder gezeigt. Dahinter steht aber auch eine politische Instrumentalisierung durch Kräfte, die solche Ereignisse wie diesen Todesfall nutzen, um ihre ausländerfeindlichen Thesen zu propagieren.
Neben Neonazis und Hooligans sind in Chemnitz auch viele Menschen auf die Straße gegangen, die man der bürgerlichen Mitte zuordnen würde.
Die Hemmschwelle, sich den Rechtsradikalen zuzugesellen, scheint dort nur noch niedrig zu sein.
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Wie ist es dazu gekommen?
Es gibt einige Erklärungsversuche, die natürlich keine Rechtfertigung sind. Zum einen beobachten wir schon lange einen tiefgreifenden Vertrauensverlust in die Politik. Nicht nur in Sachsen. Den finden wir in Deutschland, in Europa, weltweit. Die Politik erscheint vielen angesichts bestimmter weltwirtschaftlicher Entwicklungen machtlos. Und bei genauer Betrachtung müssen wir auch zugeben, dass die Politik die tatsächlich vorhandenen Probleme nicht effektiv regelt oder gar löst.
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 um Anderen gibt es eine wachsende Gerechtigkeitslücke in der deutschen Gesellschaft - nicht nur gefühlt, sondern wohl auch tatsächlich. Das betrifft die Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Es gibt in weiten Teilen der bürgerlichen Gesellschaft die Angst, abzusteigen.
Aber so schlecht geht es den Menschen in Ostdeutschland, gerade in der bürgerlichen Mitte, doch gar nicht.
Es geht ihnen nicht schlecht, wenn man sie mit Flüchtlingen aus Syrien vergleicht. Aber es geht vielen Deutschen sehr schlecht, wenn man sie mit anderen Deutschen vergleicht. Es gab in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren keinen oder nur einen marginalen realen Einkommenszuwachs, in manchen Teilen sogar einen Einkommensverlust. Bei einem gleichzeitigen immensen Anstieg des privaten Reichtums. Wir haben auch viele Selbstständige, die sehr viel arbeiten, aber gleichwohl in die Altersarmut marschieren, weil sie keine Rücklagen haben. Dadurch kommt es zu einem Gefühl von Ungerechtigkeit, das eine Gesellschaft auf Dauer spalten kann.
In Ostdeutschland haben viele Menschen außerdem das Gefühl, nicht nur Deutsche zweiter Klasse zu sein, sondern es auch zu bleiben. Die Hoffnung, dass sich die große Lücke zwischen den Einkommen im Osten und Westen irgendwann schließt, ist weg. Das wirkt zusätzlich bedrückend. Und dann beobachten wir auch so etwas wie ein Altersverbitterungssyndrom.
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Was heißt das?
Viele alte Menschen, die eine Transformation der Lebensverhältnisse hinter sich haben - nicht nur im Osten, sondern durch die Globalisierung auch im Westen -, haben das Gefühl, keinen Einfluss mehr auf die eigene Lebenssituation zu haben. Manche Wut und mancher Hass, die sich auf den Straßen zeigen, sind so herangewachsen. Und sie haben, wenn man genau hinschaut, möglicherweise gar nichts mit Ausländern zu tun - selbst wenn sie sich dann gegen diese richten.
In Chemnitz gibt es relativ wenige Ausländer. Trotzdem wenden sich viele Menschen gegen sie.

Das ist gar nicht verwunderlich. Die Angst vor zu vielen Fremden ist zwar tatsächlich weitgehend imaginiert. Gerade reale Erfahrungen mit Ausländern führen in vielen Fällen dazu, dass die Angst abnimmt.
Aber Menschen, die keine Erfahrung mit ihnen haben, denen jedoch die Angst eines zusätzlichen Verlustes durch eine angebliche Überfremdung suggeriert wird, entwickeln viel größere Sorgen als solche, die schon Erfahrungen haben.
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Und die Angst wird von den Rechten geschürt.
Ja. Aber wir müssen natürlich ehrlicherweise hinzufügen, dass sie auch reale Ursachen hat. Wir erleben eine bestimmte Form von Terrorismus in Deutschland, die es vor einigen Jahren noch nicht gab. Das macht den Menschen Angst. Das hat sich schon in Kandel gezeigt. Und die Integration der hierher geflüchteten Ausländer ist möglich, aber doch schwieriger, als uns in der ersten Zeit suggeriert wurde.

Es gibt eben auch reale Probleme, das sollten wir in der Bewertung nicht aus den Augen verlieren. Dass in Chemnitz ein Deutscher offenbar von Ausländern erstochen wurde, darf nicht gegen Flüchtlinge instrumentalisiert werden. Das ist eine erschütternde und schwerliegende Angelegenheit. Es verbietet sich, diese schön zu reden oder politisch auszubeuten.

Die Zahl der Opfer von Verbrechen durch Flüchtlinge fällt statistisch gesehen nicht besonders ins Gewicht.

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 Die Informationen über die Welt, mit zusammenbrechenden Staaten, archaischer Gewalt und gewaltigen Migrationsbewegungen, kommen über die modernen Kommunikationsmittel zu jedem Einzelnen nach Hause auf die Couch. Das Maß an Verunsicherung - auch durch Bedrohungen, die nur imaginiert werden - hat ein gewaltiges Ausmaß angenommen.
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Das betrifft aber doch alle. Wieso scheinen im Osten mehr Menschen so extrem darauf zu reagieren als im Westen?
In Ostdeutschland gibt es Teile der Gesellschaft, die extrem verunsichert, ja erschüttert sind, was ihre Orientierung, ihre weltanschauliche und ethische Stabilität betrifft.

Wegen des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus'?
Der Marxismus-Leninismus war für viele Menschen hier die tragende Weltanschauung - auch wenn sie nicht funktioniert hat. Dann war die DDR innerhalb eines Jahres weg und der Marxismus-Leninismus sogar innerhalb von einigen Wochen.
Im Grunde haben zwei Dinge die so gerissene Lücke gefüllt: Das Erste war der Neoliberalismus, der den Einzelnen auf sich selbst zurückführt und sagt: Du musst dich nur genug anstrengen, damit du in dieser Wettbewerbsgesellschaft bestehst. Aber wo immer der Gewinner gesucht wird, wird der Verlierer produziert. Das liegt in der Natur eines solchen Gesellschaftskonstrukts. Das hat im Osten zwangsläufig neue Frustrationen erzeugt.
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Und was war das Zweite?
Der Nationalismus. Der bedient Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung. Und niemand kann leben ohne diese drei Dinge. Aufgrund der schwierigen Transformation und der weltanschaulichen Erschütterung durch den Verlust des Marxismus-Leninismus war der Nationalismus besonders erfolgreich.
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Kann es sein, dass es auch an jungen Leuten fehlt, die sich gegen Rechts engagieren würden?
Ja. Wir hatten nach 1990 einen gewaltigen Bevölkerungsverlust im Osten. Und auch vorher sind schon viele der politisch, technisch oder wirtschaftlich Engagierten nach Westen gegangen. Die Sozialwissenschaften sagen tatsächlich, dass sich die, die zurückgeblieben sind - und sich zurückgelassen fühlen - eher von Rechten verführen lassen. 
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 Ich habe 2011 und 2012 die Arbeitsgruppe "13. Februar" in Dresden moderiert, nachdem es beim Gedenken an die Bombardierung 1945 zu Auseinandersetzungen zwischen Neonazis, Linken und anderen Gruppen gekommen war. Um zu klären, wie man mit diesem Tag am besten umgeht, habe ich ein Jahr sehr intensiv mit der Stadt, mit verschiedenen Verbänden, Vereinen, Fraktionen, Religionsgruppen gearbeitet.

Meine wichtige Erkenntnis daraus lautet: Der innere Frieden einer Stadt muss täglich erarbeitet werden, an runden Tischen, über Informationsveranstaltungen und so weiter. Für eine Stadt muss eine soziale, politische und ethische Infrastruktur genauso geschaffen werden wie eine ökonomische und technische Infrastruktur. Dann kann eine Stadtgesellschaft stark genug sein, um an Tagen wie jetzt in Chemnitz in der Lage zu sein, schnell und aktiv zu reagieren, gewaltlos und konstruktiv.
Ich war übrigens in der DDR selbst auch ein Wutbürger. Ich war wütend auf diesen Staat und habe mich an der friedlichen Revolution beteiligt. Wir konnten unsere Wut aber kanalisieren, in eine konstruktive Kraft umwandeln. Wenn die Wut aber von politischen Rattenfängern in eine falsche Richtung geleitet wird, wird sie zu Hass.
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Mehr dann im Link unten.
 

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