Sonntag, 8. Juli 2018

Viele Ostdeutsche fühlen sich heute heimatlos

Ein interessanter Text, warum das so ist

Dieser Text fiel mir per Zufall beim rumblättern im Internet in die Hände.

Da befassen sich sehr lang .. sind mehrere Seiten, wenn Ihr den Link aufmachen solltet, ein Seelsorger und ein weiblicher Coach mit dem Thema, dass sich nach ihrer beruflichen Erfahrung sehr viele Ostdeutsche nach der Wende irgendwie hematlos fühlen und machen sich Gedanken über die Gründe.

Zuerst erzählen da alle beide, wie sie über zig Umwege überhaupt zu ihrem jetzigen Beruf gekommen sind.

Der weibliche Coach stammt aus dem Osten und sie hat den Mauerfall als schwierige Zeit erlebt, obwohl sie vor der Wende drüben aufgrund ihrer  sehr frommen katholischen Famiie in der Ex-DDR die üblichen Probleme hatte, man ihr die typischen Probleme mit dem gewünschten Studium gemacht hat wegen der Religionszugehörigkeit und so weiter .. wie das eben drüben so war zu typischen Stasi-Zeiten.

Der Seelsorger kommt aus dem Westen, und zwar aus dem Ruhrgebiet und arbeitet erst jetzt im Ostdeutschland, nämlich in Magdeburg.

Der Westdeutsche Seelsorger wurde über seinen Entschluss, im Osten zu arbeiten, wo anders als dort, wo er herkam, ja nur wenig Menschen überhaupt religiös sind, oft bemitleidet. Die Ossis dachten, er wäre im Westen gescheitert und deshalb rüber gekommen.

Der weibliche Coach wieder sagt, sie hat zuerst als alles mögliche im Western gearbeitet und besonders durch die Arbeit im Westen festgestellt, dass sie als Ostdeutsche oder die Ostdeutschen überhaupt eben vollkommen anders sind als die typischen Westdeutschen.

Sie sagt, sie hätte dadurch eigentlich erst ihre eigene Identität bewusster wahrgenommen, was vorher nicht so gewesen ist.

Im Osten, wird da gesagt, war der Arbeitsplatz normalerweise wie eine zweite Familie. Man hat auch seine Freizeit meistens mit den Arbeitskollegen verbracht. Konkurrenzdenken wie im Westen gab es dort nicht, es gab ja keinen Leistungsdruck wie im Westen, wo Konkurrenzdenken nötig gewesen wäre.

Die Frau sagt auch, dass sich die Gräben zwischen Ost und West nach der Wende erst richtig verbreitert haben und das auch jetzt immer noch so ist. In ihren Augen gibt es gigantische Unterschiede zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen, die Menschen sind eben vollkommen anders in ihrem gesamten Wesen.

Sie spricht von Entfremdung und dass sie in Gesprächen dagegen anarbeiten würde und auf Empathie setzt.

Aber ein Zitat aus diesem Text lässt mich daran zweifeln, ob sie trotz ihres Jobs wirklich die eigene Entfremdung wahrnimmt, weil ich dieses Thema als typischer Wessi eben genau kenne, was sie da anspricht:

Ich zitiere das mal:

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Heute ist ein zentrales Anliegen meiner Arbeit, die Ost-West-Dialoge so zu verändern, damit solche Entwertungen nicht mehr vorkommen. Oder anders gesagt: zu fragen, wie sich Ostdeutsche schützen können, wenn ihnen jemand nicht respektvoll und auf Augenhöhe begegnet. Ich persönlich steige heute viel leichter aus diesen Gesprächen aus, wenn es auf der anderen Seite keine Empathie gibt. Wenn ich gefragt werde, wie das Leben in der DDR war, ich von Unfreiheit zu sprechen beginne und man mir antwortet: Aber wir konnten in den siebziger Jahren auch nicht jedes Jahr nach Italien fahren! Solche Gespräche breche ich heute ab. Nett und freundlich, aber da gibt es keine Basis. 
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 Sie will es offensichtlich auch nicht wahrhaben, dass viele Wessis den Ossis schon vor der Wende erklärt haben oder es zumindest versucht, dass man sich bei uns genauso wenig alles kaufen kann, was es zu kaufen gibt.

Hätte sie das begriffen, würde sie solche Gespräche zulassen statt sie abzubrechen, weil sie darin keine Basis sieht.

Sie sieht da den eigenen Graben nicht, der von ihr ausgeht.

Nun zu dem Seelsorger, der Gespräche nicht abwürgt, sondern versucht, jeden wo es möglich ist zu erreichen.

Und hier auch mal ein Zitat aus dem Text über das, was er besonders häufig erlebt, anhand auch eines Beispiels:
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Viele erzählen von den unglaublich tiefen Kränkungen der Nachwendezeit. Ich habe das Gefühl, eigentlich alle sind davon betroffen gewesen. Um nur mal von einer Begegnung zu erzählen, die ich wegen des Seelsorgegeheimnisses etwas verfremde: Gerade heute Morgen habe ich mit einem Mann gesprochen, der viele Jahre als Vermessungsingenieur gearbeitet hat und dem nach dem Mauerfall die westdeutschen Kollegen erzählt haben, er hätte doch eh keine Ahnung. Der Mann hat mir davon ganz liebevoll erzählt, aber ich habe trotzdem gemerkt, dass er schon seit vielen Jahren eine Mauer um sich hochgezogen hatte. Damals ist ihm sein ganzes Leben binnen weniger Monate zusammengeschmolzen. Ich selbst kann mir das ja nur sehr abstrakt vorstellen und versuche in solchen Momenten, einfach zuzuhören. 
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 Nun nochmal ein Text von den Gesprächen, die der weibliche Coach mit den Ossis führt:
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Und vor allem Kränkungen in Bewerbungsprozessen. Wenn Bewerbungsmappen gesichtet werden und sich darin häufige Wechsel finden, hören die Leute oft abwertende Kommentare. Anstatt zu fragen: Was bedeutet es, wenn jemand immer wieder aufsteht? Wenn ich heute als Coach oder Supervisorin in der Altenpflege arbeite und die Beschäftigten dort über 50 Jahre alt sind, kann ich wetten, dass diese Menschen nicht als Pfleger zu arbeiten begonnen haben. Die waren Rinder- oder Schweinezüchter, Facharbeiter für Mikroelektronik und anderes. Darüber müssen die Leute sprechen können, weil es unglaubliche Anpassungsleistungen sind, die sie erbracht haben und die kaum gesehen werden. Die sie im Gepäck haben. Viele wollen darüber nicht sprechen, sagen: Ach, das bringt doch nichts, ist doch eh vorbei. Diese Schmerzen sitzen tief und brauchen lange, ehe sie an die Oberfläche kommen.
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Und noch mehr, wo auch diese Heimatlosigkeit der typischen Ossis angesprochen wird, die den Stress seit der Wende kaum noch aushalten können, den sie vorher nicht gewohnt gewesen sind:
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  Es ist irre, was dort abläuft, was die Menschen in den vergangenen 30 Jahren alles erlebt haben. Das halte ich für einen der wesentlichsten Ost-West-Unterschiede: Die meisten Biografien laufen parallel zur Zeitgeschichte. Das sind eben keine nur persönlichen Erlebnisse, familiären Schicksale, üblichen Altersprozesse. Die Historie hat ganz konkret und sehr intensiv in eigentlich alle Familien und deren Umfeld eingegriffen. Deshalb hadern viele mit ihrer eigenen Identität, viele fühlen sich heimatlos und entwurzelt. Die Phänomene sind so vielfältig, der Einzelne kann sie häufig gar nicht deuten und sie sich nicht bewusst machen. Eher tragen die Leute diese negativen Gefühle und Energien mit sich herum. Sie fressen es in sich hinein, machen zu, und dann kommt es an irgendeiner Stelle undosiert raus. Mitunter als Frust, sogar Hass. 
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Nun nochmal ein Zitat aus dem Bericht des Seelsorgers:
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 Was ich auch oft erlebe: Die Erschütterungen des Lebens brechen sich einfach Bahn, und jemand beginnt von einer Sekunde auf die andere zu weinen. Es stimmt: In den ostdeutschen Biografien findet sich neben all den Freuden und Katastrophen eines ganz normalen Lebens eben noch dieser erheblich stärkere Zugriff der großen Geschichte. Ich will das ehrlich zugeben, das macht es für mich als politisch interessierten Menschen natürlich extrem reizvoll, hier arbeiten zu können. Und ich denke über mein eigenes Westdeutschsein inzwischen anders nach.
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 Nun noch mehr von dem Seelsorger .. wie zerrissen er sich wohl auch zuweilen fühlt zwischen Verstehen, aber auch mal Wut, wenn es ihm zu viel wird:
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Ich habe verstanden, dass ich, obwohl in der westdeutschen Friedensbewegung groß geworden, letztlich ein kalter Krieger bin. Unser Atlas endete in Helmstedt. Von Sachsen-Anhalt bis Mittelsibirien, das war für viele eine Zone. Das Gegenteil unserer Komfortzone, die ging von Mallorca bis nach Schweden. 
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 Vor allem nach den hohen Wahlergebnissen der AfD stellte man mir solche Fragen. Aber in Duisburg, wo ich groß geworden bin, hat die Partei in absoluten Zahlen noch mehr Stimmen bekommen als in Magdeburg. Gott sei Dank, will ich fast sagen, obwohl das natürlich furchtbar ist. Aber das wird oft ausgeblendet. Die AfD gilt als ein Ostproblem, was mich gewaltig ärgert. Ich spüre dann den großen Impuls, die Ostdeutschen gegen diese Zuschreibungen zu verteidigen, obwohl ich mich in meinen Gesprächen freilich auch mit solchen Äußerungen herumschlagen muss. Manche kommen mit den brutalsten Thesen über Fake-News, zionistische Verschwörungen, die sexistischsten Äußerungen über Angela Merkel. All das bekomme ich ungeschminkt ins Gesicht gesagt, rotzig bis zum Anschlag. Ich bin auch schon türenknallend gegangen, weil mal jemand versucht hat, mich an die Wand zu stellen. Ich bin so laut geworden, danach haben mich die Schwestern ins Schwesternzimmer gesetzt und mir einen Kaffee hingestellt. Eigentlich darf ich das nicht, ich habe auch eine Fehlermeldung an die Geschäftsführung geschrieben, aber die Schwestern waren so glücklich, dass auch der Pfarrer einmal ausgeflippt ist. 
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 Er:
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Da bin ich Frau Stieler ganz ähnlich, ich beende Gespräche, in denen ich merke: Es bringt nichts. Ich glaube nicht, dass ich alle Situationen deeskalieren kann. 
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Sie:
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Ich muss das präzisieren: Ich beende Gespräche mit Westdeutschen, die keine Empathie zeigen können. Aber bei Ostdeutschen mit zum Beispiel rechtsextremistischen Einstellungen versuche ich, so lange wie möglich dabeizubleiben. Ich beginne, mit ihnen über ihre Biografien zu sprechen. Fast ausnahmslos stößt man auf einen tiefen Schmerz, eine große Verletzung.  
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Wieder Er:
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Diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Neulich sprach ich mit einem, der gleich richtig losgelegt hat: Alle Flüchtlinge wollten sich nur durchfressen, keiner passe auf die Grenzen auf, uns hat man auch nichts geschenkt, Schimpfworte über Merkel, das übelste Zeug, und plötzlich sagt er: Ich wandere nach Holland aus. Da frage ich nach: Wieso Holland? Holland war die glücklichste Zeit meines Lebens, erzählt er mir dann. Wie er dort als Bauarbeiter gearbeitet hat und mit vielen Leuten aus der ganzen Welt zusammengekommen ist. Die fand er alle super. Das ist für mich ein Beispiel für Ungleichzeitigkeiten. Ich vermute, der Mann ist im Mainstream seiner Clique gefangen und passt sich dort an. 
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Und nochmal Er:
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 Ich glaube, es braucht Ventile für diese Menschen. Der Schmerz braucht eine Form, rausgelassen zu werden. Dann hätte eine Partei wie die AfD nicht mehr einen solchen Zulauf, entstünde gar kein Sog. 
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Wieder eine Frage an ihn und dann die Antwort von ihm .. auch interessant:
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 Reden ostdeutsche Zeitzeugen anders über den Krieg als westdeutsche?
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Es wird im Osten viel schneller artikuliert, dass der Krieg von deutschem Boden ausgegangen ist. Dass die Bomben, die auf Magdeburg gefallen sind, nicht die ersten waren, das vorher welche auf Rotterdam und Warschau gefallen sind, die teilweise sogar in Magdeburg produziert worden sind. Das ist für mich ein sehr positives Ergebnis der antifaschistischen Erziehung. Die auch problematisch ist, aber das ist hängen geblieben. Die Deutschen waren schuld am Zweiten Weltkrieg. Aus dem Westen kenne ich stärker das Gefühl, sich als Opfer zu empfinden. Hier dagegen sagt man: Wir hatten es nicht anders verdient. Über diese Genauigkeit bin ich oft beschämt, weil ich selbst nicht wüsste, ob ich diese Größe gehabt hätte.
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Nun eine Frage an Sie und dann die Antwort von ihr:
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 Müsste es darüber nicht viel mehr Austausch geben, zwischen Ost und West? 
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 Ja! Wir brauchen insgesamt endlich einen guten Ost-West-Dialog, unsere Gesellschaft kann nur heilen, wenn auch Ostdeutsche sich mehr artikulieren, einbringen und von Westdeutschen gehört werden. Die Wessis müssten sagen: Wir wollen verstehen, warum ihr so verletzt seid. Was ist denn eigentlich passiert? Es tut so gut, mit offenen und reifen Westdeutschen zu sprechen, die wirklich etwas verstehen wollen, ich erlebe das in meiner Arbeit oft und spüre dann, wie befreiend und wohltuend das sein kann. 
...
So .. das war's.

Alles könnt Ihr im Link unten selbst nachlesen .. sind 4 Seiten .. also bitte blättern.


LG
Renate

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