Samstag, 9. Mai 2020

Sigmar Gabriel betrachtet Corona als Brandbeschleuniger aller bisherigen Konflikte

Ein langer und sehr interessanter Text von ihm in Zeit Online

Der Bericht von Sigmar Gabriel mit seiner Meinung, wie sich alles rund um den Corona-Virus und die Folgen für die Bevölkerung nicht nur in Deutschland auswirken wird, ist sehr lang.

Das sind 5 Seiten in Folge ... also wer mag, nach der ersten Seite dann unten immer weiterklicken.

Ich kann das hierher nicht übernehmen.

Es geht um die Stimmung in der Bevölkerung und was Sigmar Gabriel persönlich darüber denkt und meint, wie sich das auswirken könnte.

Ganz grob sagt er, es wird dazu führen, dass später, wenn alles vorbei ist, genau die Konflikte, die vorher auch schon da gewesen sind, mit voller Wucht und noch viel krasser wieder aufflammen werden.

Ich kopiere Euch mal nur ein paar Textausschnitte drunter .. aus allen 5 Seiten .. alles geht nicht, das müsst Ihr dann bitte selbst lesen.

...
Covid-19 als Chance zur Weltverbesserung? Wahrscheinlicher ist, dass Corona als Brandbeschleuniger wirkt – in Deutschland und für die internationalen Konflikte.


Es wird jetzt viel nachgedacht über die Zeit nach Corona. Möglich ist dieser Blick in die Zukunft nur, weil in der Gegenwart Bund, Länder und Gemeinden, aber auch die sehr große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gut, schnell und effektiv handeln und die Risiken soweit es geht minimieren. Der viel gescholtene föderale Staat hat sich bewährt. Alle getroffenen Maßnahmen bewegten sich innerhalb der Möglichkeiten und Grenzen unserer Verfassung, es gab keine Rufe nach "Ausnahmezustand" und erst recht keine Versuche, bestehende Gesetze zu beugen oder zu missachten. 

Beim Danach aber ist schon fraglich, wann es überhaupt beginnt. Die Virologen werden uns sicher weder ein Datum für die Öffnung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens nennen noch die Schrittfolge dahin. So wenig wie die Mediziner in der Lage sind, im Heute gemeinsame Empfehlungen zu geben, so gering wird ihre Neigung sein, gemeinschaftlich Verantwortung für die Frage zu übernehmen, wann und wie das Morgen beginnt.

Die Politik wird selbst ebenso entschlossen wie behutsam Wege in eine neue Normalität eröffnen müssen, die zugleich viele überdauernde Verhaltensänderungen von uns verlangen wird. Dass darüber schon jetzt politisch gestritten wird, ist ein gutes Zeichen und bereits Ausdruck der neuen Normalität.
In den kommenden Tagen und Wochen werden in Deutschland also schrittweise wieder Schulen und Kindertagesstätten geöffnet, Krankenhäuser stärker belegt, Hotels, Gaststätten und der Einzelhandel unter bestimmten hygienischen Bedingungen in Betrieb genommen sowie insgesamt die Waren- und Dienstleistungsproduktion wieder erhöht. Und doch wird es nicht einfach wieder so, wie es vor der Corona-Krise war. Nicht nur wegen der weltweiten Rezession, die auch in Deutschland zu Arbeitslosigkeit und sozialen Verwerfungen führen wird. 
...

In der Wirtschaft ist das Virus schon jetzt der große Beweger. Die Unternehmen, die es sich leisten können, gehen zu völlig veränderten Arbeitsformen über. Das Homeoffice wird im Zeitraffer zur Massenerscheinung moderner betrieblicher Arbeit. Wer braucht noch große Bürogebäude, wenn dezentral gearbeitet werden kann? Dabei dürfte die Heimarbeit meist eher im Interesse der Arbeitgeber liegen als im Interesse der Arbeitnehmer, denn für letztere bedeutet die Trennung von Arbeits- und Wohnort auch den Schutz der eigenen Privatheit. Außerdem hilft ihnen ein fester, gemeinsamer Betriebsort, um ihre Interessenvertretung zu organisieren. Betriebsräte sind eben keine Homeoffice-Beauftragten. Es ist daher erstaunlich, wie derzeit ausgerechnet Sozialdemokraten der Entbetrieblichung das Wort reden.
Die größten Gewinner der Sonder-Konjunktur nach der Pandemie dürften jene Digitalunternehmen sein, die sich schon in den vergangenen Jahren über enorme Gewinnentwicklungen und wachsende weltweite Bedeutung freuen konnten: Amazon wird am meisten profitieren und dabei unzählige Einzelhändler und ihre Geschäfte in der Insolvenz zurücklassen. Aber auch die digitalen Infrastuktur-Unternehmen, die Cloud-Anbieter, der E-Commerce, das Online-Shopping und die Webinar-Anbieter gehören zu den Gewinnern der Krise. Die Corona-Pandemie könnte die Bruchkante von digitaler und analoger Welt in der globalen Wirtschaftsgeschichte markieren. 
...
 Schaut man über die Grenzen des eigenen Landes hinaus, wirkt Covid-19 wie ein Brandbeschleuniger all dessen, was wir schon vor der Krise sehen konnten. Es wird jedenfalls wohl kaum zu einer neuen und besseren Weltordnung kommen, wie jetzt viele erhoffen. Denn das Virus verändert nicht die strategischen Konstellationen und Rivalitäten, es verschärft und beschleunigt sie. Die beiden derzeit wichtigsten Mächte, die für eine veränderte Weltordnung gebraucht würden – die USA und China –, bleiben auch nach der Pandemie Rivalen. Vieles spricht dafür, dass Covid-19 dem Konflikt eher neue Nahrung gibt, als ihn zu befrieden. Europa wiederum ist viel zu sehr mit sich beschäftigt, um das Vakuum in der globalen Ordnung zumindest teilweise füllen zu können. Das Drama um die Finanzhilfen für Südeuropa hat das gezeigt. 
...
 Die ganze Welt wird – selbst wenn bald ein Impfstoff oder wirksame Medikamente gefunden werden sollten – nach der Pandemie im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal ärmer sein. Die Staatsschulden, die wir derzeit machen, um unsere nationalen Ökonomien zu stabilisieren, belasten schon die wohlhabenderen Länder enorm. Ärmere Länder haben oft nicht mal die Möglichkeit, mit noch höheren Schulden das Elend ihrer Bürger zu lindern. Hier kann die Virus-Pandemie für sehr viele Menschen schnell zu einer Hunger-Pandemie werden. 
...
 Auch in Europa wird man auf Zulieferungen nur aus dem Inland setzen, auf mehr Lagerhaltung, auf Digitalisierung statt Auslagerung in andere Länder. All das verspricht nach der Pandemie-Erfahrung mehr Sicherheit. Der Preis dafür aber sind geringere Effizienz, geringere Erlöse – vor allem für die ärmeren Staaten der Welt. Die Schwellen- und Entwicklungsländer werden am härtesten getroffen, wenn die globalen Wertschöpfungsketten wieder kürzer und nationaler werden. Die Welt wird vor allem dort ärmer, wo sie ohnehin schon viel zu arm ist. 
...
 Der marktradikale, neoliberale Entwurf der Globalisierung hat sich ja gerade als Gegenentwurf zur politischen Regelsetzung verstanden. Politik sollte so weit wie möglich verbannt werden – national wie international. Märkte sollten – befreit von Regeln, Grenzen, politischen Rahmen und Zielsetzungen – rein auf Effizienz getrimmt werden. Angeblich zum Wohle aller. Das Aufkommen digitaler Plattformen hat dieser Sichtweise nochmals Schub verliehen. Die Idee einiger Silicon Valley Manager, ihre Unternehmen auf künstliche Inseln fernab jedes staatlichen Einflusses zu verlegen, ist nur die absurdeste Erscheinungsform einer Haltung und Wirtschaftspraxis, die sich aus Prinzip der staatlichen Regulierung entziehen will – nicht nur beim Steuerzahlen. 
...

Man sollte das nicht als Wahlkampfgetöse abtun. Natürlich sehen auch Amerikas Demokraten in China ihren großen strategischen Wettbewerber. China ist noch weit davon entfernt, den USA militärisch oder ökonomisch auf Augenhöhe entgegentreten zu können, technologisch tun sie es aber schon heute. Covid-19 hat auch diesen Prozess beschleunigt, in der Virusbekämpfung wird der chinesische Anspruch offensichtlich, die technologische Führungsrolle von den USA zu übernehmen.
Europa gilt in dieser Rivalität nichts. Zu weit sind wir gegenüber diesen beiden Tech-Supermächten im Hintertreffen. Deshalb wird es auch keine echte strategische Partnerschaft der EU mit den USA geben, die Amerikaner erwarten hier Gefolgschaft. Diese Frage, wie die Europäer es mit China halten, ist die größte Gefahr für das transatlantische Bündnis, und nicht etwa die Militärausgaben oder Handelsdefizite. Das war schon vor Covid-19 der Fall und wird sich jetzt wegen und mit der Seuche, die in China begann, noch verschärfen. 
...

Nicht zuletzt steigen mit der De-Globalisierung leider auch die geopolitischen Risiken. Wer nicht mehr wirtschaftlich voneinander abhängig ist, wird auf mittlere Sicht weniger berechenbar. Wo eine globale Krise alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, steigt die Versuchung, alte Konflikte mit Gewalt zu lösen. Die Aufkündigung aller Friedensbemühungen durch den libyschen Kriegsherrn Haftar zeigt, wie schnell im Schatten der Corona-Krise die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Gewalt in Konfliktregionen wieder steigt.

Leider scheint Europa nicht in der Verfassung, diesen vielen Bränden etwas entgegenzusetzen. Es brennt ja selbst. Eigentlich wollte es gerade ein neues Kapitel aufschlagen: mit Klimaschutz im Mittelpunkt und dem Ziel, die EU zu einem globalen Akteur zu machen, so die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Covid-19 macht diesen Plänen nicht nur deshalb einen Strich durch die Rechnung, weil es die Nationalstaaten waren und sind, die als einzige der Pandemie und ihren Folgen gegenübertraten.
Das ist erst einmal selbstverständlich, denn die Mitgliedsstaaten sind für den Gesundheitsschutz nicht nur formell zuständig, sondern auch schnell handlungsfähig. Wenn dann aber selbst aus Deutschland heraus ein Exportstopp für medizinische Hilfsmittel nach Italien verhängt wird, obwohl dort schon die Todeszahlen in die Höhe schossen, oder über Wochen Streit darüber herrscht, ob der reiche Norden Europas dem ärmeren Süden finanziell beim Wiederaufbau helfen muss oder nicht, dann bleibt von der Idee europäischer Werte und europäischer Solidarität nicht mehr viel übrig. Derzeit jedenfalls sehen laut Umfragen die Italiener China als größten Freund und Deutschland als größten Feind. Wir werden viel damit zu tun haben, diese schweren Schäden wieder zu beseitigen. Der Wiederaufbau muss auch ein kultureller und politischer sein, nicht nur ein wirtschaftlicher.
...

Damit eng verbunden ist die Frage, wie die ohnehin schon mit relativ hohen Schuldenbergen belasteten Volkswirtschaften Europas (und der Welt) aus dem jetzt noch dramatisch wachsenden Schuldenturm herausfinden sollen. Europa droht ein verlorenes Jahrzehnt, wenn es sich nur noch mit Schuldenabbau beschäftigt und nicht mit den drängenden Zukunftsfragen. Das Beispiel Griechenlands zeigt, wie groß dabei die sozialen Verwerfungen werden können. Autoritäre und antieuropäische Parteien, die derzeit eher auf dem Rückzug sind, können schnell zu neuer Stärke kommen. Ein auf verlorenem Posten um Europas Handlungsfähigkeit kämpfender französischer Staatspräsident kann bei der kommenden Präsidentschaftswahl durchaus auch durch seine rechtsextremistische Gegnerin ersetzt werden. Nichts sollte uns undenkbar erscheinen.
Das gilt übrigens auch für Deutschland. Unsere wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Bedingungen für die Überwindung der Krise sind besser als in vielen anderen Staaten Europas und der Welt. Wo über Jahrzehnte der Staat Inbegriff für angebliche Ineffizienz war und das Motto "Privat vor Staat" nicht nur neoliberales Leitmotiv der Politik war, sondern auch in der Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien handlungsleitend erschien, sind wir heute froh, einen handlungsfähigen Staat zu haben. Das beeindruckendste Beispiel ist die dreißigjährige Forderung der Gesundheitsökonomen nach einem Abbau von Krankenhausbetten. Heute sind wir dankbar, dass wir mehr davon vorhalten als die meisten anderen Staaten. 
...
Es geht jetzt darum, die staatliche Hilfe auf jene zu konzentrieren, die es am härtesten trifft. Unterrichtsausfall ist für die Schülerinnen und Schüler, die mehr Zeit brauchen oder denen die Eltern nicht helfen können, eine echte Katastrophe. Und wer wenig verdient, für den sind 60 Prozent Kurzarbeitergeld zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, denn die Miete und die Lebenshaltungskosten sinken ja nicht. 
...
 Tja .. wer mag .. ist lang wie gesagt . und eben die Meinung von Sigmar Gabriel.

LG
Renate

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen