Sonntag, 24. Mai 2020

Interview mit Gregor Gysi bei Zeit Online

Seine Vorstellung von Rot-Rot-Grün nach dem Ende der Corona-Krise

Gregor Gysi ist wieder da. Eigentlich wollte er das Alter genießen, aber hält es wohl für notwendig, jetzt doch noch einmal aktiv zu werden.

Das unten ist ein Interview, das um die Frage geht, was Gregor Gysi denkt, wie es nach der Coronakrise weitergehen könnte.

Ich ziehe nur ein paar Zitate raus. Das ganze Interview ist zwei Seiten lang .. der erste Link führt zu Seite 1.


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 17. Mai 2020, 10:09 Uhr
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Gregor Gysi war Vorsitzender der SED-Nachfolgepartei PDS, aus der später die heutige Linkspartei hervorging. Insgesamt zwölf Jahre lang war der frühere DDR-Anwalt Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Bundestag, bevor er das Amt 2015 aufgab. Vor zwei Wochen gab es ein kleines Comeback: Gysi wurde zum außenpolitischen Sprecher seiner Fraktion gewählt.



ZEIT ONLINE: Herr Gysi, in Ihrer Autobiografie haben Sie vor drei Jahren angekündigt, Sie wollten das Alter genießen. Jetzt sind Sie mit 72 Jahren zum außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion gewählt worden. Ist das ein Genuss?

Gregor Gysi: Nein, das ist kein Genuss, Außenpolitik ist ein schwieriger Bereich in unserer Fraktion. Aber auch bisher hatte ich kein klassisches Rentnerleben. Ich hatte zwar im Bundestag kaum besondere Aufgaben, aber gut zu tun als Autor, Moderator und Rechtsanwalt. Ich hatte Angst davor, abends allein zu Hause zu sein. Als Corona mich dazu zwang, habe ich gemerkt: Das ist gar nicht so schlimm.

ZEIT ONLINE: Trotzdem lassen Sie sich jetzt noch mal in die Pflicht nehmen. Fehlt es nach dem Rückzug von Sahra Wagenknecht bei den Linken einfach an prominenten Gesichtern? 
 Gysi: Das fragen Sie mal andere. Aber es freut mich natürlich, wenn ich mit meiner in Jahrzehnten erarbeiteten Bekanntheit Interesse für politische Themen wecken kann. Meine erste Rede in dieser Funktion habe ich zu dem Vorschlag von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gehalten, für 18,5 Milliarden Euro Kriegsflugzeuge zu kaufen – und das in Corona-Zeiten. Diese Rede wurde auf Facebook 1,4 Millionen Mal aufgerufen. 
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ZEIT ONLINE: Vor der Corona-Krise gab es für Rot-Rot-Grün erstmals wieder eine Mehrheit in den Umfragen. Sollte es diese auch nach der Bundestagswahl geben: Sind die Chancen, dass es dann auch tatsächlich zur Bildung eines solchen Bündnisses kommt jetzt größer als in früheren Jahren?

Gysi: Wenn es diese Option gibt, wird die SPD nicht an ihr vorbeikommen. Bei den Grünen bin ich mir da nicht so sicher. Das kann auch davon abhängen, ob sie in einem solchen Bündnis den Kanzler stellen könnten. Entscheidend ist: Es muss eine Wechselstimmung in der Bevölkerung geben. Menschen, die sagen: So geht es nicht weiter: Bei der Ost-West-Angleichung der Renten, der Gleichstellung der Geschlechter, der Rente, den Kitas. 
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ZEIT ONLINE: Wie sieht es mit dem von den Linken geforderten Verbot für Waffenexporte aus?

Gysi: Ein Komplettverbot wäre mit SPD und Grünen wohl nicht umsetzbar. Aber es wäre ja schon ein Riesenfortschritt, wenn wir wenigstens den Export an Krieg führende Staaten und Diktaturen unterbänden. Grundsätzlich gilt: Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig. Aber entscheidend ist, dass in einer Koalition alle Schritte aus unserer Sicht in die richtige Richtung gingen. Sie könnten aber kürzer sein.

ZEIT ONLINE: Ein anderes schwieriges Thema ist das Verhältnis zu Russland.

Gysi: Da gibt es zum Glück in der Sozialdemokratie, etwas weniger bei den Grünen, aber auch bei den Konservativen immer mehr, die unsere Thesen teilen. Natürlich war die Annexion der Krim ebenso völkerrechtswidrig wie die Lostrennung des Kosovo. Beides verstieß gegen völkerrechtliche Verträge. Aber Sicherheit und Frieden in Europa gibt es niemals ohne Russland. Deshalb brauchen wir ein anderes Verhältnis zu Russland. Die Sanktionen müssen aufgehoben werden.

ZEIT ONLINE: Das heißt, der Westen soll die Annexion der Krim einfach hinnehmen und zur Tagesordnung übergehen?

Gysi: Man muss es nicht anerkennen, aber lernen, damit zu leben. Die USA haben die Zugehörigkeit der drei baltischen Republiken zur Sowjetunion nie anerkannt und trotzdem ihre Beziehungen zu diesem Land ausgebaut. Auch beim Kosovo finden sich immer mehr damit ab. 
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 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/gregor-gysi-die-linke-coronavirus-aussenpolitik/seite-2
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ZEIT ONLINE: Liegen die größten Schwierigkeiten für eine rot-rot-grüne Regierung wirklich auf außenpolitischem Gebiet oder sehen Sie da auch noch andere Themen?

Gysi: Steuergerechtigkeit ist mit der SPD ebenfalls nur schwer zu erreichen. In Deutschland zahlt der Mittelstand die meisten Steuern, nicht die Konzerne. Das muss sich ändern. Wenn die Linke die Gesellschaft verändern will, braucht sie ein ehrliches Bündnis mit der Mitte. Und die Mitte muss begreifen, dass sie auch ein Bündnis mit der Linken braucht, um Gerechtigkeit gegenüber den Konzernen herzustellen. Leider sind wohl beide Seiten noch nicht soweit. Übrigens mussten Spitzenverdiener schon unter Helmut Kohl 53 Prozent Steuern zahlen. Und Kohl war kein Linksextremist. 

ZEIT ONLINE: Sie haben mal gesagt, ein Problem der Linkspartei sei, dass sie nicht mehr als Protestpartei wahrgenommen wird. Ist es da klug, dass die Linke auch in der Corona-Krise die Beschlüsse der Bundesregierung weitgehend mitgetragen hat? 

Gysi: Das war am Anfang kein Problem, weil 95 Prozent der Bevölkerung die Beschlüsse richtig fanden. Ich sage aber auch immer: Corona ist nicht die Pest und nicht die Cholera. Man muss das Maß wahren. Jetzt, wo die Schutzmaßnahmen gelockert werden, müssen wir als Linke uns darauf konzentrieren, Chancengleichheit einzufordern. Da herrscht im Moment zu viel Willkür. 

ZEIT ONLINE: Einige Entscheidungen müssten Ihnen doch gut gefallen: Die Aussetzung der Schuldenbremse etwa. Hoffen Sie darauf, dass solche Maßnahmen von Dauer sein werden?

Gysi: Im Gegenteil. Meine feste Überzeugung ist: Alles was in der Not beschlossen wurde, muss wieder aufgehoben werden. Das gilt auch für die Aussetzung der Schuldenbremse, obwohl ich immer ein Gegner der schwarzen Null war und bin. Sonst könnten andere auch darauf drängen, etwa die Einschränkungen der Freiheitsrechte beizubehalten. Wir haben das schon einmal im Kampf gegen die RAF erlebt: Von den Änderungen – etwa an der Strafprozessordnung – wurde hinterher fast nichts zurückgenommen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass der Ausnahmecharakter der Einschränkungen deutlich wird. Wir müssen alle Corona-Beschlüsse zurücknehmen und dann können wir in einem demokratischen Prozess darüber diskutieren, was wir davon auch künftig wollen, zum Beispiel keine schwarze Null. 

ZEIT ONLINE: Was soll bleiben nach Corona?

Gysi: Ich hoffe, dass sich der Neoliberalismus durch die Corona-Krise überlebt. Neoliberalismus bedeutet: Nur Effizienz und Flexibilität zählen. Ich glaube, jetzt hat doch eine Mehrheit begriffen, dass ein Krankenhaus in erster Linie für Gesundheit zu sorgen hat und nicht in erster Linie profitabel sein muss. Die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge – Gesundheit, Bildung, Wasser- und Energieversorgung, auch Teile von Kunst und Kultur – rechnet sich nie. Außerdem wird jetzt deutlich: Der Rückzug des Staates aus vielen Bereichen kann zu einer Katastrophe führen. Dass die FDP nun den Föderalismus infrage stellt, finde ich dagegen mehr als bedenklich. 
ZEIT ONLINE: Ist es nicht auch im Sinne der Linken, wenn der Staat sich nun an großen Konzernen beteiligt, wie es in der Krise möglich wurde?

Gysi: Entscheidend ist: Wenn wir einem großen Unternehmen helfen, dann immer unter der Bedingung, dass wir am Gewinn beteiligt werden. Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, bekanntlich kein Linker, hat mir mal gesagt: "Ich verstehe Ihre Regierung nicht. Immer wenn ich den Banken als Ministerpräsident von Luxemburg geholfen habe, war mein Land jahrelang am Gewinn beteiligt." Aber Union und SPD denken, dass wäre Staatssozialismus. Die Commerzbank etwa hat sehr viel Geld in der Finanzkrise vom Bund bekommen – und dann auch noch Wege zur Steuervermeidung gesucht und gefunden! Das ist der Gipfel der Frechheit und darf nicht mehr passieren. 

ZEIT ONLINE: Wie viel Sorgen machen Ihnen die Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen?

Gysi: Das macht mir große Sorgen. Der Corona-Protest zeigt den schweren Vertrauensverlust in die Politik. Man kann ja immer sagen, das sind alles Verschwörungstheoretiker – aber warum werden es immer mehr? Weil die etablierte Politik nicht ehrlich handelt. Entweder werden falsche Motive angegeben oder Alternativen verschwiegen. Etwa bei der Rente: Da wird gesagt, das Rentenniveau muss sinken, weil es sonst nicht mehr bezahlbar ist. Warum wird nicht gesagt, dass es auch die Möglichkeit gibt, alle in die Rentenversicherung einzahlen zu lassen, dass man das aber aus bestimmten Gründen ablehnt? Politiker müssen deutlich machen: Es gibt nicht nur richtig oder falsch. Sie stehen immer vor Abwägungsprozessen, die müssen sie in einer verständlichen Sprache erklären. 

ZEIT ONLINE: Wie hätte das in der Corona-Krise aussehen können?

Gysi: Ich hätte ein Expertengremium aus unterschiedlich argumentierenden Virologen gebildet. Jedes Mal hätte ein anderer Virologe mitteilen dürfen, worauf sie sich verständigt haben. Und wenn sie sich nicht hätten verständigen können, hätten sie das erklären müssen. Die Regierung hätte so ihr Verhalten besser erläutern können. Es ist nicht gut, als Regierung immer denselben Virologen an die Seite zu nehmen.

ZEIT ONLINE: Gibt es einen Unterschied zwischen Ost und West, was die Bereitschaft betrifft, die Corona-Einschränkungen zu akzeptieren?
Gysi: In der DDR wusste man, dass in den Zeitungen des Öfteren nicht die Wahrheit steht. Das erwartete auch keiner. Mit der Wende aber kam die Pressefreiheit. Wenn Widersprüche unaufgeklärt bleiben, zieht das Enttäuschungen nach sich: Die Menschen zweifeln dann die Freiheit der Presse an. Hinzu kommt: Im Osten gibt es zum Teil einen Glauben an die Effizienz des Autoritären. Deswegen fremdeln manche mit langen demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen. Nur, im Westen nimmt ein solches Denken auch zu. 
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So .. das ist nicht das ganze Interview, aber was Gregor Gysi zum Thema Coronakrise gesagt hat gegen Ende, habe ich doch alles hierher übernommen, fand das sehr wichtig.
Das ganze Interview könnt Ihr in den beiden gesetzten Links dann finden.
LG
Renate

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