Ansicht des Historikers Andreas Rödder
Dass sich in der ehemaligen DDR so gut wie alles durch die Wiedervereinigung veränderte, ist allgemein bekannt. Das hier ist ein Interview mit dem Historiker Andreas Rödder darüber, was sich eigentlich für die Menschen in Westdeutschland eher fast unbemerkt durch die Wiedervereinigung verändert hat.
Ich kopiere Euch ein paar Textausschnitte raus wie immer in diesem Blog, wenn ich interessante Texte finde ... den Rest könnt Ihr dann im Link bei Interesse selbst lesen.
https://www.sueddeutsche.de/politik/wiedervereinigtes-deutschland-tendenz-zu-einem-kulturellen-ueberlegenheitsgefuehl-1.4153974
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Historiker Andreas Rödder über Deutschland
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Was hat sich eigentlich im Gebiet der alten Bundesrepublik durch die
Wiedervereinigung verändert? Historiker Andreas Rödder über Kontinuität
und Wandel in Westdeutschland.
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Für die Menschen in der ehemaligen DDR bedeuteten der Mauerfall und die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 einen massiven Umbruch. Doch was hat sich im Gebiet der alten Bundesrepublik dadurch verändert? Zeithistoriker Andreas Rödder über den deutschen Hang zur Selbstüberhöhung, belastete Sozialkassen und die zerstobene Option eines Kanzlers Lafontaine.
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Unterscheidet sich dieses Selbstbild sehr stark von früheren?
Vor allem vor 1914, aber insgesamt noch bis 1945 haben die Deutschen ihre Tugenden vor allem als Gehorsam, Treue und Tapferkeit definiert - das hat sich grundlegend gewandelt. Was sich allerdings durchzieht, ist die Tendenz der Deutschen zu einem kulturellen Überlegenheitsgefühl. Das gilt für die deutsche Tapferkeitskultur vor 1914 genauso wie für die Willkommenskultur von 2015.
Sie meinen, wir haben einen generellen Hang zur Überhöhung unserer Tugenden?
Genau. Diese Neigung geht zurück auf die Entstehung des deutschen Selbstbildes in der Romantik mit all ihrem idealistischen Überschuss. Ein universalisierender Nationalismus vor 1914 hat sich in einen universalisierenden Humanitarismus des frühen 21. Jahrhunderts verwandelt. Die Inhalte sind unterschiedlich, die Mechanismen sind ganz ähnlich.
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Kommen wir zurück zur Wiedervereinigung. Die Menschen in der ehemaligen DDR haben nach der Wende von 1989/90 eine enorme Anpassungsleistung erbracht. Inwiefern hat sich der Westen verändert?
Was die Westdeutschen angeht, waren Globalisierung und Digitalisierung als Treiber des gesellschaftlichen Wandels stärker als die Wiedervereinigung. Institutionell hat sich hier durch die Angliederung der DDR kaum etwas verändert. Deshalb haben die Westdeutschen übrigens auch die umfassende Verändungs- und Anpassungsleistung der Ostdeutschen unterschätzt. Das ist eine der Ursachen für die Diskrepanzen, die uns heute noch begleiten. Im Gebiet der alten Bundesrepublik hat sich die Wiedervereinigung mittelfristig durch die Erhöhung von Steuern und Abgaben sowie durch das Fehlen von Geld und das Ausbleiben von Investitionen bemerkbar gemacht - also durch die wirtschaftliche Krise infolge der Vereinigung. Außerdem hat die Tätigkeit des Staates deutlich zugenommen. Keine private Institution oder Organisation hätte so mit all diesen Folgelasten der Wiedervereinigung umgehen können.
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Die finanzielle Belastung durch die Wiedervereinigung war deutlich höher als zunächst angenommen. Wie konnten Wirtschaftexperten und Regierung sich so täuschen?
Es war eine riesige Illusion zu glauben, dass die Wiedervereinigung kostenneutral über die Bühne gehen könnte. Die alte westdeutsche Bundesrepublik hat sich den Illusionen ihres eigenen Gründungsmythos hingegeben. Die Vorstellung vieler war, das Ganze wird so werden, wie es 1948 gewesen war: Man macht eine Währungsreform und dann kommt das Wirtschaftswunder. Doch dann machten die Menschen in den neuen Ländern eine ganz andere Erfahrung: der Einführung der D-Mark folgte der industrielle Absturz. Nicht zuletzt in dieser Erfahrung liegen erhebliche sozialpsychologische Folgewirkungen der Wiedervereinigung in den neuen Ländern begründet.
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Der sogenannte Soli - ursprünglich eingeführt für ein Jahr - wird von den Steuerzahlern bis heute abgeführt. Vor allem aber wurden die Arbeitslosen- und Rentenkassen massiv belastet. Wären die umstrittenen Hartz-Gesetze auch ohne die Wiedervereinigung notwendig gewesen?
Die Hartz-Reformen wären vermutlich nicht so dringlich gewesen. Strukturprobleme der sozialen Sicherungssysteme gab es auch schon in der alten Bundesrepublik vor 1989. Sie wurden durch die Folgelasten der Wiedervereinigung aber enorm verstärkt. Wie sehr diese Folgekosten auch die westdeutschen Bundesländer beeinträchtigt haben, ist deutlich sichtbar, wenn man heute nach Österreich oder in die Niederlande blickt. Hier sind die öffentlichen Investitionen, was zum Beispiel die Infrastruktur angeht, wesentlich weiter gekommen.
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Nach wie vor gibt es erhebliche sozialpsychologische Differenzen zwischen Ost und West. Diese werden besonders in der Deutung der genannten Krisen sichtbar. Was die Finanzkrise und ihre Folgen angeht, scheint das in den neuen Ländern noch stärker der Marktwirtschaft zugeschrieben zu werden als im Westen. Und wenn man auf den Terrorismus schaut, kommt man ganz schnell zur Frage der Flüchtlingspolitik, die Ost und West weiter auseinandergebracht hat.
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Inwiefern unterscheidet sich die Ausländerfeindlichkeit in Ost und West?
Dieses Phänomen gibt es einerseits hüben wie drüben. Andererseits ist es in Ostdeutschland offensichtlich manifester. Dort ist es in stärkerem Maße möglich, offen Dinge zu artikulieren, die im Westen nicht öffentlich artikuliert werden können.
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Die alte BRD war eine vielen Bereichen konservative Gesellschaft. Deutlich wird das unter anderem an der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Beruflicher Aufstieg wurde vor allem Männern zugestanden. Verheiratete Frauen arbeiteten oft gar nicht oder in Teilzeit - und es war ganz klar, dass vor allem sie für Kinder zuständig waren. Hat das ostdeutsche Modell der Vollzeit arbeitenden Mutter hier etwas verändert?
Die weibliche Emanzipation ist meiner Ansicht nach in allererster Linie eine Folge der Bildungsreformen der Sechzigerjahre gewesen - und nicht der Wiedervereinigung. Die Generation der heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen ist damit groß geworden, dass Frauen ganz selbstverständlich akademische Bildung genießen und erwerbstätig sein wollen. Das hat sich mit einer gewissen Verzögerung gesamtgesellschaftlich durchgesetzt. Zudem muss man bedenken, dass es grundsätzlich zwei sehr unterschiedliche Begründungen für weibliche Erwerbstätigkeit gibt.
Was meinen Sie damit?
Es gibt die proletarische Form, wonach Frauen arbeiten müssen, weil der Lohn des Mannes allein nicht reicht. Und es gibt die bürgerliche Variante, die sagt: Frauen wollen arbeiten, weil sie darin die Möglichkeit zu Selbstentfaltung und sozialer Positionierung sehen. Die Tradition der DDR lag rein volkswirtschaftlich betrachtet in der Tradition der proletarischen Frauenerwerbstätigkeit, während die moderne Familienpolitik, wie sie insbesondere von Ursula von der Leyen durchgesetzt wurde, sehr stark in der bürgerlichen Tradition steht. Diese beiden Begründungsstränge haben Sie bis heute. Es ist ja ein Unterschied, ob eine Frau als Fabrikarbeiterin im Schichtdienst arbeitet oder ob eine promovierte Chemikerin Karriere macht.
Wie sieht es mit der Kinderbetreuung aus? Noch 1989 wurden Vorstöße für Krippenplätze in Westdeutschland als "Frühablieferung" und "sozialistischer Irrweg" geschmäht.
Die DDR hat mit ihrer Tradition der umfangreichen frühkindlichen außerfamiliären Betreuung sicher Druck auf das Modell der Bundesrepublik ausgeübt. Entscheidender war jedoch der Druck durch die Frauenerwerbstätigkeit und die zunehmend globalisierte Wirtschaft.
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Zum Schluss noch ein Gedankenspiel: Ende der Achtzigerjahre waren viele Wähler Helmut Kohls überdrüssig. Wäre die Mauer nicht gefallen, wäre bei der Bundestagswahl 1990 vielleicht Oskar Lafontaine zum Kanzler gewählt worden.
Dass Lafontaine Bundeskanzler wird, entsprach noch im Januar 1990 den allgemeinen Erwartungen, das war eine ganz realistische Annahme.
Was wäre in der Bundesrepublik dann politisch anders gelaufen?
Vieles. Die SPD hätte eine Wirtschaftspolitik im Sinne der ökologischen Marktwirtschaft gemacht, die sie auf dem Parteitag im Dezember 1989 beschlossen hatte. Das Programm, das die SPD sich damals gegeben hat, war auf der Höhe der Zeit für eine Volkspartei der linken Mitte. Es wurde unter der Lawine der Wiedervereinigung begraben. Der Gedanke, dass Lafontaine Kanzler geworden wäre, zeigt, wie offen Geschichte ist. Dass Helmut Kohl die nächsten Bundestagswahlen gewinnt, das war Anfang 1990 die eher unwahrscheinliche Option - etwa so, als wenn Angela Merkel 2021 noch einmal Kanzlerin wird.
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Für die Menschen in der ehemaligen DDR bedeuteten der Mauerfall und die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 einen massiven Umbruch. Doch was hat sich im Gebiet der alten Bundesrepublik dadurch verändert? Zeithistoriker Andreas Rödder über den deutschen Hang zur Selbstüberhöhung, belastete Sozialkassen und die zerstobene Option eines Kanzlers Lafontaine.
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SZ: Herr Rödder, die Front des Kalten Krieges
führte mitten durch Deutschland hindurch. Fühlten sich die Westdeutschen
nach dessen Ende sicherer, atmeten sie auf?
Andreas Rödder: Das taten sie, denn
tatsächlich hat sich die reale, aber auch die empfundene Bedrohungslage
ja gewandelt. Wenn man bedenkt, dass sechs Jahre vor dem Mauerfall
die Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen in
Deutschland begonnen hatte und damit der Höhepunkt des sogenannten
Zweiten Kalten Krieges erreicht war; wenn man überlegt, wie stark die
bundesdeutsche Kultur immer von der Angst geprägt war, dass "der Russe"
kommen könnte, dann wird klar, welchen Unterschied das Ende der
Blockkonfrontation bedeutete. So verstärkte sich etwas, das vor 1989
bereits angelegt war: das Selbstverständnis Deutschlands als
Zivilmacht. Das ist das Bild von sich selbst, das die Bundesrepublik bis
heute in hohem Maße hat.
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Vor allem vor 1914, aber insgesamt noch bis 1945 haben die Deutschen ihre Tugenden vor allem als Gehorsam, Treue und Tapferkeit definiert - das hat sich grundlegend gewandelt. Was sich allerdings durchzieht, ist die Tendenz der Deutschen zu einem kulturellen Überlegenheitsgefühl. Das gilt für die deutsche Tapferkeitskultur vor 1914 genauso wie für die Willkommenskultur von 2015.
Sie meinen, wir haben einen generellen Hang zur Überhöhung unserer Tugenden?
Genau. Diese Neigung geht zurück auf die Entstehung des deutschen Selbstbildes in der Romantik mit all ihrem idealistischen Überschuss. Ein universalisierender Nationalismus vor 1914 hat sich in einen universalisierenden Humanitarismus des frühen 21. Jahrhunderts verwandelt. Die Inhalte sind unterschiedlich, die Mechanismen sind ganz ähnlich.
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Kommen wir zurück zur Wiedervereinigung. Die Menschen in der ehemaligen DDR haben nach der Wende von 1989/90 eine enorme Anpassungsleistung erbracht. Inwiefern hat sich der Westen verändert?
Was die Westdeutschen angeht, waren Globalisierung und Digitalisierung als Treiber des gesellschaftlichen Wandels stärker als die Wiedervereinigung. Institutionell hat sich hier durch die Angliederung der DDR kaum etwas verändert. Deshalb haben die Westdeutschen übrigens auch die umfassende Verändungs- und Anpassungsleistung der Ostdeutschen unterschätzt. Das ist eine der Ursachen für die Diskrepanzen, die uns heute noch begleiten. Im Gebiet der alten Bundesrepublik hat sich die Wiedervereinigung mittelfristig durch die Erhöhung von Steuern und Abgaben sowie durch das Fehlen von Geld und das Ausbleiben von Investitionen bemerkbar gemacht - also durch die wirtschaftliche Krise infolge der Vereinigung. Außerdem hat die Tätigkeit des Staates deutlich zugenommen. Keine private Institution oder Organisation hätte so mit all diesen Folgelasten der Wiedervereinigung umgehen können.
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Die finanzielle Belastung durch die Wiedervereinigung war deutlich höher als zunächst angenommen. Wie konnten Wirtschaftexperten und Regierung sich so täuschen?
Es war eine riesige Illusion zu glauben, dass die Wiedervereinigung kostenneutral über die Bühne gehen könnte. Die alte westdeutsche Bundesrepublik hat sich den Illusionen ihres eigenen Gründungsmythos hingegeben. Die Vorstellung vieler war, das Ganze wird so werden, wie es 1948 gewesen war: Man macht eine Währungsreform und dann kommt das Wirtschaftswunder. Doch dann machten die Menschen in den neuen Ländern eine ganz andere Erfahrung: der Einführung der D-Mark folgte der industrielle Absturz. Nicht zuletzt in dieser Erfahrung liegen erhebliche sozialpsychologische Folgewirkungen der Wiedervereinigung in den neuen Ländern begründet.
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Der sogenannte Soli - ursprünglich eingeführt für ein Jahr - wird von den Steuerzahlern bis heute abgeführt. Vor allem aber wurden die Arbeitslosen- und Rentenkassen massiv belastet. Wären die umstrittenen Hartz-Gesetze auch ohne die Wiedervereinigung notwendig gewesen?
Die Hartz-Reformen wären vermutlich nicht so dringlich gewesen. Strukturprobleme der sozialen Sicherungssysteme gab es auch schon in der alten Bundesrepublik vor 1989. Sie wurden durch die Folgelasten der Wiedervereinigung aber enorm verstärkt. Wie sehr diese Folgekosten auch die westdeutschen Bundesländer beeinträchtigt haben, ist deutlich sichtbar, wenn man heute nach Österreich oder in die Niederlande blickt. Hier sind die öffentlichen Investitionen, was zum Beispiel die Infrastruktur angeht, wesentlich weiter gekommen.
...
Nach wie vor gibt es erhebliche sozialpsychologische Differenzen zwischen Ost und West. Diese werden besonders in der Deutung der genannten Krisen sichtbar. Was die Finanzkrise und ihre Folgen angeht, scheint das in den neuen Ländern noch stärker der Marktwirtschaft zugeschrieben zu werden als im Westen. Und wenn man auf den Terrorismus schaut, kommt man ganz schnell zur Frage der Flüchtlingspolitik, die Ost und West weiter auseinandergebracht hat.
...
Inwiefern unterscheidet sich die Ausländerfeindlichkeit in Ost und West?
Dieses Phänomen gibt es einerseits hüben wie drüben. Andererseits ist es in Ostdeutschland offensichtlich manifester. Dort ist es in stärkerem Maße möglich, offen Dinge zu artikulieren, die im Westen nicht öffentlich artikuliert werden können.
...
Die alte BRD war eine vielen Bereichen konservative Gesellschaft. Deutlich wird das unter anderem an der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Beruflicher Aufstieg wurde vor allem Männern zugestanden. Verheiratete Frauen arbeiteten oft gar nicht oder in Teilzeit - und es war ganz klar, dass vor allem sie für Kinder zuständig waren. Hat das ostdeutsche Modell der Vollzeit arbeitenden Mutter hier etwas verändert?
Die weibliche Emanzipation ist meiner Ansicht nach in allererster Linie eine Folge der Bildungsreformen der Sechzigerjahre gewesen - und nicht der Wiedervereinigung. Die Generation der heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen ist damit groß geworden, dass Frauen ganz selbstverständlich akademische Bildung genießen und erwerbstätig sein wollen. Das hat sich mit einer gewissen Verzögerung gesamtgesellschaftlich durchgesetzt. Zudem muss man bedenken, dass es grundsätzlich zwei sehr unterschiedliche Begründungen für weibliche Erwerbstätigkeit gibt.
Was meinen Sie damit?
Es gibt die proletarische Form, wonach Frauen arbeiten müssen, weil der Lohn des Mannes allein nicht reicht. Und es gibt die bürgerliche Variante, die sagt: Frauen wollen arbeiten, weil sie darin die Möglichkeit zu Selbstentfaltung und sozialer Positionierung sehen. Die Tradition der DDR lag rein volkswirtschaftlich betrachtet in der Tradition der proletarischen Frauenerwerbstätigkeit, während die moderne Familienpolitik, wie sie insbesondere von Ursula von der Leyen durchgesetzt wurde, sehr stark in der bürgerlichen Tradition steht. Diese beiden Begründungsstränge haben Sie bis heute. Es ist ja ein Unterschied, ob eine Frau als Fabrikarbeiterin im Schichtdienst arbeitet oder ob eine promovierte Chemikerin Karriere macht.
Wie sieht es mit der Kinderbetreuung aus? Noch 1989 wurden Vorstöße für Krippenplätze in Westdeutschland als "Frühablieferung" und "sozialistischer Irrweg" geschmäht.
Die DDR hat mit ihrer Tradition der umfangreichen frühkindlichen außerfamiliären Betreuung sicher Druck auf das Modell der Bundesrepublik ausgeübt. Entscheidender war jedoch der Druck durch die Frauenerwerbstätigkeit und die zunehmend globalisierte Wirtschaft.
...
Zum Schluss noch ein Gedankenspiel: Ende der Achtzigerjahre waren viele Wähler Helmut Kohls überdrüssig. Wäre die Mauer nicht gefallen, wäre bei der Bundestagswahl 1990 vielleicht Oskar Lafontaine zum Kanzler gewählt worden.
Dass Lafontaine Bundeskanzler wird, entsprach noch im Januar 1990 den allgemeinen Erwartungen, das war eine ganz realistische Annahme.
Was wäre in der Bundesrepublik dann politisch anders gelaufen?
Vieles. Die SPD hätte eine Wirtschaftspolitik im Sinne der ökologischen Marktwirtschaft gemacht, die sie auf dem Parteitag im Dezember 1989 beschlossen hatte. Das Programm, das die SPD sich damals gegeben hat, war auf der Höhe der Zeit für eine Volkspartei der linken Mitte. Es wurde unter der Lawine der Wiedervereinigung begraben. Der Gedanke, dass Lafontaine Kanzler geworden wäre, zeigt, wie offen Geschichte ist. Dass Helmut Kohl die nächsten Bundestagswahlen gewinnt, das war Anfang 1990 die eher unwahrscheinliche Option - etwa so, als wenn Angela Merkel 2021 noch einmal Kanzlerin wird.
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LG
Renate
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