Dienstag, 2. Oktober 2018

Warum Veränderung zu den Menschen passen muss, die sich verändern sollen

Ein Gespräch mit einem liberal-konservativen Historiker

Ich habe da einen Text gefunden, der mal ganz anders ist als vieles, was man zur Zeit so zur politischen Lage in Deutschland liest.

Es erinnert mich ein bisschen an das, was mir mal vor vielen Jahren mein Mitschüler Helge über konservative Politik erzählt hat. Helge, ein Burhardt aus unserer Klasse und ich haben oft gemeinsam Referate und dergleichen ausgearbeitet, als wir zusammen Abitur gemacht haben und alle drei bemerkten, wie schwierig das ist, als eher Einser-Schüler mit einer Gruppe relativ schlechten Schülern zusammenzuarbeiten, weil dann meistens einer alles alleine machen muss und alle anderen dann auch noch schimpfen, wenn es denn mal nur 13, aber keine 15 Punkte geworden sind.

Helge war eigentlich ein extrem kluger Kopf. Ist später Zahnarzt geworden und hat das Abi damals mit dem NC 1,3 bestanden.

Helge sagte, so schlimm wären die Konservativen doch gar nicht .. er war in der jungen Union .. denn sie hätten anders als viele Parteien keine Ideologie, sondern würden sich eigentlich grundsätzlich am Jetztzustand im Land orientieren, dann schauen, was wollen die Menschen denn alle und dann versuchen, für jede Bevölkerungsschicht was rauszuholen. Dabei wären meistens nicht alle vollkommen zufrieden, aber es wäre in Helges Augen so ziemlich die Lösung, die am gerechtesten für alle wäre.

Ich habe zwar nie CDU gewählt im Leben, aber diese Erklärung fand ich wiederum recht plausibel, die mir Helge damals gab.

Heute sagen die Linken oft über unser Land, es wäre vom Neoliberalismus geprägt und unter Neoliberalismus verstehen die Linken was ganz Schlechtes.

In dem Link unten erklärt ein Historiker, der sich mit Berlin beschäftigt, warum er in jungen Jahren links eingestellt war, aber sich heute als liberal-konservativ beschreiben würde.

Und er erklärt genau, warum er dieses liberal-konservativ sein halt besser findet.

Das ist ein sehr langer Text .. bei Interesse bitte ganz lesen. Ich kopiere wie immer nur ein paar Textstellen hier rein .. damit Ihr eine Leseprobe habt und dann entscheiden könnt, ob Euch das Thema auch interessiert. Ich fand es zur Abwechslung mal recht interessant.
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https://www.nzz.ch/feuilleton/der-mensch-laesst-sich-nicht-beliebig-zurichten-ld.1419506
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Nun die Zitate:
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Freiheit endet da, wo der Staat für das Glück der Bürger sorgen will, sagt Jörg Baberowski. Im Gespräch erzählt der Berliner Historiker, wie er vom Linken zum Liberal-Konservativen wurde.
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Herr Baberowski, Sie standen früher links, warum heute nicht mehr?
Als Schüler war ich von marxistischen Theorien fasziniert. Als Student der Geschichte wurde ich jedoch mit den Resonanzböden konfrontiert, auf denen Ideen schwingen. Das sowjetische Experiment hatte das Leben von Millionen zerrüttet, und ich verstand nun, dass der postsowjetische Konservatismus der Gegenwart eine Wirklichkeit ist, die aus der Erfahrung der Verunsicherung und der Unordnung kommt. In den neunziger Jahren war ich oft in Russland und habe gesehen, was Chaos im Leben bewirken kann. Freiheit und Ordnung sind keine Gegensätze. Ordnung ist der Grund, auf dem die Freiheit gedeiht. Konservative wissen das. In Russland weiss es jeder.
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Welche Folgerungen haben Sie daraus gezogen?
Ich habe mich von allen sozialtechnologischen Vorstellungen abgewandt und von dem Gedanken verabschiedet, man könne die Menschen gleich machen und eine schlechthin perfekte Gesellschaft schaffen. Der Mensch ist aus krummem Holz geschnitzt, er kann sich jederzeit gegen die selbstgegebenen Regeln der Vernunft entscheiden.
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Heute bezeichnen Sie sich als liberal-konservativ. Warum?
Weil ich glaube, dass es nicht die Aufgabe des Staates ist, für das Glück oder die Perfektion der Bürger zu sorgen, sondern, einen Raum zu schaffen, in dem die Verschiedenen sich in der Kultur der höflichen Nichtbeachtung einrichten können. Von Möglichkeiten kann aber nur Gebrauch machen, wer geschützt ist, also in Anspruch nehmen kann, was er will. Die liberale Ordnung lebt von ihrer Erzwingbarkeit. Man kann überhaupt nicht liberal sein, ohne auch einzugestehen, dass Freiheit auf Voraussetzungen beruht. Es sollte den Staat nichts angehen, was seine Bürger denken oder wie sie ihr Leben einrichten. Aber er muss die Bedingungen so einrichten, dass die Bürger allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Leben leben können.
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Sie behaupten, Konservative hätten ein realistischeres Menschenbild als Linke. Wie kommen Sie darauf?
Die radikale Aufklärung ist die Emanzipation des Geistes von den Institutionen. Sie ist von der falschen Vorstellung beherrscht, dass der Mensch der Schöpfer seiner Welt sei und sie nach Belieben beherrschen könne. Der voraussetzungslose Mensch kann also tun und lassen, was er will, weil er vernunftbegabt ist und sich keiner letzten, unbegründeten Ordnung mehr unterwerfen muss.
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Und diese Vorstellung ist falsch?
Ja. Denn solches Denken weiss nicht um die Gebundenheit der Existenz. Auch die Aufklärung steht auf einem Grund, von dem aus sie ihre Grundlosigkeit behauptet. Wenn man das eingesehen hat, dann wird man auch nicht mehr glauben, die Welt könne von nirgendwo betrachtet und nach Belieben verändert werden. Der Konservative hingegen schätzt Stil und Skepsis und nimmt hin, was er nicht verändern kann. Über manches sollte man einfach lachen. Denn am Ende sind wir alle tot. Der Weltverbesserer ist gewöhnlich ein humorloser Philister, der von der Lächerlichkeit der Existenz keinen Begriff hat.
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 Alle grossen Weltverbesserungsprojekte haben nichts als Elend und Gewalt produziert. Sie sind gescheitert, weil sie auf menschliche Möglichkeiten keine Rücksicht genommen haben.
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Wie lernfähig ist der Mensch aus der Sicht eines Konservativen?
Der Konservative weiss, dass man Menschen nicht nach Belieben zurichten kann. Alle grossen Weltverbesserungsprojekte haben nichts als Elend und Gewalt produziert, weil sie auf menschliche Möglichkeiten keine Rücksicht genommen haben. Sie sind gescheitert, weil das Leben sie korrigiert hat. So gesehen, lernen Menschen aus Fehlern. Manche Fehler kosten das Leben. Niemand wird deshalb noch einmal den Versuch unternehmen wollen, die perfekte Gesellschaft auf Erden zu errichten.
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Allerdings wird auch Westeuropa gerade rasant konservativer.
Weil nach den goldenen Nachkriegsjahren jetzt die Erfahrung der Verunsicherung zurückkommt. Die linken Eliten, die im Westen Europas darüber entscheiden, was gesagt werden darf, versuchen den Bürgern einzureden, sie müssten die Verunsicherung, die durch die Globalisierung, durch Masseneinwanderung und Kriminalität entsteht, als Preis für eine offene Gesellschaft begreifen. Solange sie aber selbst keinen Preis entrichten müssen, werden sie nicht verstehen, warum manche der Ordnung den Vorzug gegenüber der Grenzenlosigkeit geben.
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Was würde denn nützen?
Mir würde es schon reichen, wenn sich herumspräche, dass Bedürfnisse, Lebensorte und Erfahrungen von Menschen verschieden sind und nicht alle wollen, was der Intellektuelle will. Man kann Menschen nicht ihre materielle und geistige Heimat nehmen und sich dann über die Wut der Heimatlosen beklagen.
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Wie kann Veränderung gelingen?
Schmerzfreie Veränderungen gibt es nur, wenn sie sich im Gewand der Sprachen, Sitten und Gewohnheiten derer vollziehen, die sie ertragen müssen. Und wenn die Bürger von der Notwendigkeit, dass sich ihr Leben ändert, selbst überzeugt sind. Konservative würden sagen: Veränderungen müssen tatsächlich als Verbesserung des Lebens wahrgenommen werden. Es gibt keinen Lebensvollzug, der zum endgültigen Abschluss kommen kann. Man kann nur zur Einsicht kommen, dass es die beste aller Gesellschaften nicht geben wird und auch nicht geben kann.
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Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber Utopien – ist es nicht eine triste Vorstellung, jede Hoffnung auf Fortschritt aufzugeben?
Der Konservative ist doch kein Gegner des Fortschritts! Ihm ist bewusst, dass der Mensch geworden ist und sich mit der Zeit verändert hat. Aber man kann nicht Fortschritt nennen, was sich nicht in Übereinstimmung mit der Lebenswelt derer vollzieht, die sich verändern sollen. Traditionen verändern sich auf dem Grund der Tradition. Diese Einsicht unterscheidet den Konservativen von der Geschichtsvergessenheit der Linken.
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Welche Illusionen hegt der Konservative? Wo ist seine offene Flanke?
Konservative sind im politischen Kampf unterlegen, weil es ihnen zuwider ist, sich in Herden zu organisieren, Ideen wie Ikonen zu verehren und endgültige Wahrheiten herauszuschreien. Stil und Skepsis sind nicht massentauglich und im Kampf um Macht und Einfluss ohne Gewicht. Hingegen können Konservative mit Kritik besser umgehen als jene, die glauben, im Besitz der letzten Wahrheit zu sein, weil sie wissen, dass die Welt nicht eindeutig, sondern vielstimmig ist. Gegen die Rechthaberei des «juste milieu» lässt sich deshalb wenig ausrichten. Denn das Gute, Wahrheit, Moral und die institutionalisierte Revolte sind jetzt nur noch dort zu Hause. Gegen das Warme kommt das Kalte, das Nüchterne, nicht an. Wer nicht so ist wie sie, der ist entweder verrückt oder ein Nazi. Der Konservative lächelt und sagt: Ich kann es nicht ändern, aber muss ich den Blödsinn, der sich vor aller Augen vollzieht, auch noch bejubeln? Da geht er mit Ernst Jünger lieber in den Wald.
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Wo liegt der Unterschied zwischen Rechten und Konservativen?
Die Rechten sind ein Spiegelbild der Linken, weil auch sie glauben, Gesellschaften liessen sich nach Belieben formen und zurichten, weil auch sie an den Sieg der Eindeutigkeit und Endgültigkeit glauben. Die Nationalsozialisten wollten gerade nicht, dass alles so bleibt, wie es ist. Sie waren Zerstörer, keine Bewahrer. Sie träumten von einer Gesellschaft, aus der Feinde und Fremde physisch eliminiert werden sollten. Ich kann darin nichts Konservatives erkennen.
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Wie steht es um das Menschenbild des Liberalen?
Liberale glauben, dass der Mensch frei und Herr seiner Entscheidungen und dass der Freiheitsraum ein Ort der Möglichkeiten ist, in dem er sich frei entfalten darf. Das stimmt natürlich, aber Liberale übersehen, dass diese Position leicht zu vertreten ist, wenn man die Konsequenzen von politischen Entscheidungen nicht selber tragen muss, weil man sich ihnen jederzeit entziehen kann. Wer arm und ohne Einfluss ist, hat diese Möglichkeiten nicht. Liberale haben keinen Begriff von Anerkennung, Würde, Gerechtigkeit, die vielen Menschen wichtiger sind als der Raum, zu dem der Staat sich keinen Zugang verschaffen kann, oder das Recht, ihre Meinung zu sagen. Es gibt nicht nur negative Freiheit, die den Raum definiert, in dem man sich ohne Behinderung durch andere entfalten darf, es gibt auch eine Freiheit, die aus dem Streben nach Anerkennung kommt. Sie ist auch mit autoritärer Ordnung vereinbar, weil die meisten Menschen gar nicht sich entfalten, sondern anerkannt und respektiert werden wollen. Für ein solches Streben nach Anerkennung aber haben Liberale kein Verständnis.
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Beispiel?
In Berlin kann man beobachten, dass im linken Milieu nicht ertragen werden muss, was linke Politik beschliesst. Die Stadt müsse bunt werden, sagen die Anwälte der Grenzenlosigkeit, aber sobald die Einschulung bevorsteht, ziehen sie mit ihren Familien in jene Stadtteile, in denen von Buntheit zwar viel gesprochen wird, in denen es sie aber nicht gibt. Sie richten sich in der ethnisch homogenen Zone ein und empfehlen anderen, die Lasten der Wirklichkeit zu tragen. Sie sprechen von liberaler Freiheit und wundern sich darüber, dass diejenigen, die Fehlentscheidungen bewältigen müssen, weil sie keine Wahl haben, lieber in einer Ordnung der Anerkennung als an einem Ort der Beliebigkeit leben wollen.
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 Wer mag, findet wie gesagt, den ganzen Text oben in dem Link.

LG
Renate

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