Montag, 16. Dezember 2019

Fortsetzung Frühförderung von Kleinkindern und die Bedeutung der Eltern

Ein praktisches Beispiel in Form eines Berichts aus dem Zeit-Magazin

Ich habe ja vor ein paar Tagen einmal erzählt, was ich persönlich wegen der ja auf Sauerstoffmangel bei der Geburt beruhenden Körperbehinderung meines Jüngsten erlebt habe, dass seine ältere Schwester so auf die Idee kam, sowas beruflich machen zu wollen und auch gemacht hat und heute in Kiel-Gaarden in der Frühförderung von Kleinkindern tätig ist und dass wir mal ein sehr ausführliches Gespräch über die Rolle der Eltern geführt haben, als Jürgen und ich ahnungslos ein paar Monate, weil die Mama gefragt hatte und die Kindern so gern mit unseren Pferden rumtüdeln wollten und es dann ganz schnell da ungeahnte Probleme gab, aufgenommen hatten.

Ich habe ja im ersten Text erzählt, wie Frühförderung bei einer Körperbehinderung funktioniert und dass man sein Kind durchaus trotz Spasmus so hinkriegen kann, dass es später nicht im Rollstuhl sitzen muss und sich normal weiterentwickeln kann.

Das Kind lernt durch seine eigene Möglichkeit der Bewegung, alles anzufassen und hat auch die Phase, wo es alles in den Mund steckt, um die Form zu erkunden, so hat man mir das damals erklärt .. das geht natürlich nur, wenn man es in dem Alter schon soweit hat, dass es sich auch bewegen kann, also rumkrabbeln, alles anfassen und eben in den Mund stecken.

Das ist die Grundlage für Dinge wie Buchstaben und Zahlen erkennen zu können, also Formen überhaupt .. also auch für Rechnen und Lesen und Schreiben .. und so weiter .. nur ein Beispiel von vielen.

Damit das klappt, zeigt einem die Fachkraft für Frühförderung alle paar Tage was Neues, das man dann kontinuierlich oft jahrelang mit seinem Kind alleine übt .. das braucht ganz viel Zeit.

Und das ist bei jedem anderen Grund, wo man Frühförderung braucht, also auch bei geistigen Behinderungen von Geburt an, bei Hochbegabung aber auch und natürlich erst recht .. und da müssen Eltern dann extrem umdenken lernen ... bei Entwicklungsrückständen durch Vernachlässigung so.

Und Vernachlässigung hat meistens zwei Gründe .. entweder sind die Eltern überhaupt nachlässig .. aber es gibt auch andere, denen die Arbeit einfach vorgeht und deren Kinder, weil die Eltern zu viel arbeiten und sich nicht kümmern, dann auch auf der Strecke bleiben.

Und wenn man die nicht kriegt .. nur die Fachkraft für Frühförderung kann das alleine nicht aufholen .. da müssen die Eltern mitziehen, sonst wird das nichts.

Und darüber habe ich jetzt einen tollen Bericht gefunden, den ich Euch mal drunter rausziehen werde, damit Ihr seht, das sagt nicht nur meine Tochter, die sowas ja beruflich macht oder ich .. das sagt da auch jemand anders und erklärt das auch ganz genau.

https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2019-12/fruehfoerderung-kinder-erziehung-bildung-lebenshilfe-soziale-gerechtigkeit

Frühförderung: Wenn Eltern es nicht schaffen


Immer mehr Kinder entwickeln sich zu langsam, weil zu Hause niemand mit ihnen spricht und spielt. Unterwegs mit einer Pädagogin, die versucht zu helfen. Von
Das mit der Schere hört man jetzt oft: Dass die Schere immer weiter auseinandergehe, die Schere zwischen armen und reichen Menschen, aber auch die Schere zwischen Kindern, die sehr viel und sehr wenig gefördert werden. Bei den Bundestagsdebatten um das "Gute-Kita-Gesetz" von Familienministerin Franziska Giffey, aber auch auf Spielplätzen und sonnigen Parkbänken wird darüber gesprochen: Dass sich das menschliche Gehirn in den ersten Lebensjahren besonders schnell entwickeln kann, ja, dass alles, was in dieser Zeit passiert oder eben nicht passiert, große Auswirkungen hat darauf, wie ein Kind später leben wird: wie es Beziehungen führt, wie es lernt, arbeitet oder wie viel Geld es verdient. 
 Um sieben Uhr früh steigt Veronika Belikova in ihr blaues Elektroauto und braust los. Auf dem Rücksitz stehen drei große Taschen, die mit Spielen, Kinderbüchern und Bastelzubehör vollgestopft sind: Fische angeln, Lotti Karotti, Bücher über die Feuerwehr oder die Tiere des Waldes, Scheren, Filzstifte und Buntpapier. Durch den dichten Verkehr steuert Belikova zum "Kindergarten am Wiesenhügel" in einem Erfurter Plattenbaugebiet. Rund 5.000 Menschen leben hier, auch viele Familien. Früher hatten die Straßen einschlägige DDR-Namen, heute heißen sie nach Pflanzenarten. 
 In den "Kindergarten am Wiesenhügel" gehen Kinder, die Belikova ein bis zwei Mal pro Woche betreut. Im Moment wird der eigentliche Kindergarten renoviert, deshalb gibt es ein Ausweichgebäude. Belikova parkt ihr Auto an der Straße und betritt den roten Klinkerbau, der von innen so aussieht, wie Kindergärten nun mal aussehen: ein Speiseraum, drei Gruppenräume, Garderoben mit Namensschildern, an den Wänden ein paar krakelige Zeichnungen. 
 Belikova arbeitet seit sechs Jahren bei der Frühförderstelle der "Lebenshilfe" in Erfurt. An diesem Tag im Kindergarten trägt sie Jeans und eine geblümte Bluse. Die braunen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die drei Kinder, die sie heute besucht, sind draußen und schaufeln Sand in einen Eimer. Mavie und Lara sind Schwestern, Danny ist ihr Cousin, und eigentlich haben sie andere Vornamen. 
 Mavie trägt ein lila Kleid mit rosa Herzen und Turnschuhe. Sie sieht Belikova schon von Weitem, kommt auf sie zu und schlingt die Arme um ihre Knie. Gemeinsam gehen sie in einen leeren Turnraum, der im Souterrain des Kindergartens liegt. Dort steht eine niedrige Holzbank; die Frühförderin setzt sich und hebt das Mädchen auf ihren Schoß. "Komm erst mal kuscheln!" sagt Belikova. "Sag' mal Mavie, wo sind denn deine Zähne? Habt ihr die zu Hause vergessen?" Mavie nickt. "Das ist aber nicht gut. Du brauchst deine Zähne. Morgen nimmst du sie wieder mit, ja? Sag' das bitte auch der Mama!" Wieder nickt Mavie. Weil ihre Milchzähne verfault waren, trägt die Vierjährige seit Kurzem ein Gebiss. Und seitdem sie ein Gebiss trägt, gibt sie sich mehr Mühe mit dem Sprechen. "Ich hab' heute Geburtstag!", sagt Mavie, das sagt sie jedes Mal, wenn Belikova sie auf den Schoß nimmt. "Wirklich?", fragt Belikova, als wäre sie überrascht. "Was hast du denn bekommen?" "Mama mir eine Puppe gessenkt, Oma mir ein Kleid gessenkt." "Das sind aber schöne Geschenke", sagt Belikova und zieht ein Puzzle aus ihrer Tasche: Jeweils ein Tierkind und seine Mutter müssen zusammenfinden, Zicklein und Ziege, Kälbchen und Kuh, Fohlen und Stute. Ein paar Minuten puzzelt Mavie, dann kann sie sich nicht mehr konzentrieren. Ihr Blick driftet ab: "Ich hab' heute Geburtstag!", sagt sie. 
 Die fünfjährige Lara, Mavies große Schwester, freut sich schon auf die Förderstunde, mit einem scheuen Lächeln steigt sie die Stufen hinab zum Turnraum. Belikova und sie beginnen mit einem Lied: "Hoch am Himmel, tief auf der Erde, überall ist Sonnenschein. Wenn ich nicht die Lara wäre, würde ich gerne ein… was möchtest Du sein?" fragt Belikova. Lara möchte "ein Schmetterling" sein, die beiden machen flatternde Bewegungen mit den Armen, trinken Nektar aus unsichtbaren Blüten. Dann verwandeln sie sich in Elefanten, Bären und Kängurus. Lara soll große Hüpfer machen durch den ganzen Raum, sie hat wenig Spannung in den Armen und Beinen. 
 Eltern, sagt Belikova, wüssten oft gar nicht, was Kinder in welchem Alter gerne spielen. Sie kaufen ein nach dem Prinzip: lauter, bunter, teurer. Autos, die blinken und lärmen, dass man davon Kopfschmerzen bekommt. Gigantische Fernseher, Computerspiele, für die die Kinder viel zu jung sind. "Neulich habe ich einen zweijährigen Jungen betreut, der von seiner Mama ein Mini-Tablet bekommen hatte", sagt Belikova. "Ich habe ihr dann gezeigt, dass Zweijährige viel lieber mit Kochtöpfen voller Wasser spielen."  Im Sommer füllt Belikova für die Kinder Badewannen, holt Eimer, Trichter, Gläser, sodass sie tüchtig im Matsch spielen können. Im Herbst sammeln sie Kastanien. Manche Kinder, sagt sie, gehen mit ihren Eltern kaum nach draußen. 
Jetzt eine Runde Lotti Karotti? Für Lara ist es eine Herausforderung, die Regeln zu verstehen. Dass ihr Hase gelb ist, das kann sie sich an diesem Morgen partout nicht merken. Aber dass er aussieht "wie die Sonne", das weiß sie. Neulich haben sie ein Farbenbuch gebastelt, da stand das drin: gelb wie die Sonne.  

Vor vier Jahren hat Veronika Belikova sich vor allem um behinderte Kinder gekümmert, jetzt betreut sie Kinder, die mental vernachlässigt werden – also diejenigen, die "ordentlich angezogen sind und gut gefüllte Brotdosen haben", aber kaum Aufmerksamkeit bekommen. Nachher will sie noch mit der Mutter von Mavie und Lara telefonieren. "Ich muss im Grunde die Eltern fördern, wenn ich die Kinder fördern will", sagt sie. Oft versuche sie, sich mit den Müttern zu einer gemeinsamen Förderstunde zu verabreden. "Aber manche sitzen nur da und starren auf ihr Handy, während ich mich abstrampele, um ihrem Kind etwas beizubringen." 
Danny, der heute ein Dinosaurier-T-Shirt trägt, kann mit seinen vier Jahren noch kaum sprechen. Vor vier Monaten konnte er selbst die einfachsten Dinge nicht benennen. Wusste nicht, dass der Tisch Tisch heißt und die Tür Tür. Vermied den Blickkontakt mit den Erwachsenen. Belikova drang auf die Mutter ein, dass sie mit Danny mehr reden, die Handlungen des Alltags mit Sprache begleiten müsse: "Danny, bitte mach die Tür zu, komm an den Tisch und nimm dir einen Teller mit Essen!" Die Mutter hat es sich zu Herzen genommen und seitdem wird es besser. "Skät", erzählt er. "Mit Saße." Also wahrscheinlich: Wir sind Skateboard gefahren auf der Straße.  

Dannys Mutter ist Ende zwanzig und alleinerziehend mit vier Kindern. Sie trägt ein weites T-Shirt und eine Landschaft aus Tätowierungen auf ihren Armen. "Meine beiden älteren Söhne sind auch bei der Lebenshilfe in die Frühförderung gegangen", sagt sie. "Da habe ich gute Erfahrungen gemacht. Lange habe ich gedacht: Der Danny, der braucht das vielleicht nicht. Aber jetzt habe ich das Gefühl, der braucht es mehr als seine Brüder." 
 


Oft sind es die Erzieherinnen oder die Kinderärzte, die die Eltern bitten, Kontakt mit der Lebenshilfe aufzunehmen. Die Pädagogen erstellen dann einen "Förder- und Behandlungsplan" und schicken ihn an das Sozialamt. Wird der Plan bewilligt, dann tragen der Staat und die Krankenkassen die gesamten Kosten. Die Frühförderinnen arbeiten in einem gemischten Team mit Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten. Allein in Erfurt gibt es fünf interdisziplinäre Frühförderstellen, die diese sogenannten Komplexleistungen in ihren eigenen Räumen anbieten. Die Stadt gibt dafür jedes Jahr ein bisschen mehr Geld aus: 2017 waren es 960.000 Euro, 2018 dann 1.050.000 Euro.  

 In den vergangenen zehn Jahren richteten Hochschulen in Nordhausen, Berlin, Hamburg und Köln  das Studienfach "Transdisziplinäre Frühförderung" ein. In Deutschland gibt es immer mehr Kinder, die "eine verzögerte Entwicklung haben, mit einem hohen Bezug zum sozialen Milieu der Eltern", sagt Professor Armin Sohns, der den Masterstudiengang in Nordhausen leitet. Diese Verzögerung habe, so sagt es Sohns, oft eine "unklare Genese": Kein Arzt könne erklären, warum ein Vierjähriger auf dem Stand eines Zweijährigen sei. Weil es keine genetischen Defekte gebe, kein Krankheitsbild.  

 Versteht Veronika Belikova, warum es immer mehr Eltern gibt, die es nicht mehr schaffen, sich um ihre Kinder zu kümmern? "Oft ist es gar kein böser Wille", sagt sie. "Die Väter sind abgehauen, die Mütter überfordert und mit sich selbst beschäftigt." Aber sie sieht auch Trägheit und Unwissenheit. Ziel ihrer Arbeit ist es also auch, die Eltern zu stärken.  

 Belikova selbst ist in einem Plattenbaugebiet der ukrainischen Stadt Lwiw aufgewachsen und hat einen weiten Weg zurückgelegt. Ihr Vater ist in einem russischen Waisenhaus aufgewachsen. Er fuhr als Matrose zur See, später arbeitete er als Maurer auf den großen Baustellen in Moskau und verfiel zunehmend dem Alkohol. Betrunken fing er Streit an und die halbwüchsige Tochter fühlte sich verantwortlich, ihre Mutter zu verteidigen. 

 Nach der Schule studierte Belikova Grundschullehramt in Ternopil, doch weil sie in der Ukraine keine Stelle als Lehrerin bekam, heuerte sie als Au-pair im Ausland an. Weil sie etwas von der großen weiten Welt sehen wollte. Und große Familien – sie selbst wuchs als Einzelkind auf. 

 Belikova hat in fünf westeuropäischen Ländern als Au-pair gearbeitet, in Deutschland, Österreich, Belgien, in den Niederlanden und in der Schweiz. Fast sieben Jahre lang hat sie Schönheitschirurgen, Managerinnen, Ingenieuren, Politikerinnen und Journalisten geholfen, ihre Kinder zu erziehen. In ihren "Wanderjahren" habe sie viel Gutes erfahren, aber sie habe auch das gesehen, was man heute "Wohlstandsverwahrlosung" nennt, erzählt sie. In den reichen Familien war es eine extreme Fixierung auf die Arbeit, die zu Vernachlässigung führte. Als Belikova mit Anfang zwanzig in Österreich war, besaßen ihre Gasteltern drei umsatzstarke Restaurants. Sie kamen nicht vor vier Uhr nachts nach Hause und blieben oft bis mittags im Bett. Sie hatten selten Zeit für ihre Kinder, waren mit den Gedanken woanders. "Die vierjährige Tochter schrie manchmal: Ich hasse dich!" sagt Belikova. "Weil sie dachte, wenn das blöde Au-pair weg ist, dann kümmern die Eltern sich wieder."  

 Auch in den privilegierten Schichten gehe gerade etwas verloren, nämlich die Bereitschaft, sich den eigenen Kindern wirklich zuzuwenden. Während es bei armen Familien der Staat ist, der die Kosten für die frühe Förderung trägt, bezahlen die Reichen ihre Frühförderer und Kümmerer selbst: Au-pairs, Kindermädchen, Therapeuten oder elektronische Medien. 

 Mit 27 Jahren hatte Belikova die gesetzliche Altersgrenze für Au-pairs aus dem Nicht-EU-Ausland erreicht. Nun musste sie sich also etwas Neues suchen: Im Jahr 2010 fing sie an, in Erfurt Pädagogik zu studieren. 

 Es ist drei Uhr nachmittags. Belikova parkt ihr blaues Auto jetzt vor einem Kindergarten in Erfurt Nord. Dann holt sie ihren zweijährigen Sohn ab und geht mit ihm in den Park. Die Sonne scheint durch die hohen Bäume. Ihr Sohn plaudert und zwitschert, aufgeregt läuft er zwischen der Wippe und der Schaukel hin und her. "Früher hatte ich nur mit entwicklungsverzögerten Kindern Kontakt. Deshalb war ihr Zustand für mich normal. Nun habe ich einen direkten Vergleich." Wenn sie Jungen wie Danny sehe, die mit vier Jahren noch nicht können, was ihr Sohn schon mit zwei Jahren kann, mache sie das traurig. 

 Besonders um Danny mache sie sich gerade Sorgen, weil er seit Wochen keine Fortschritte mehr mache. "Natürlich erreicht man nicht alles, was man sich erhofft. Aber ich sage mir: Eine Person im Leben, an die man sich später gerne erinnert, kann etwas bewirken. Manchmal reicht auch Kuscheln, eine Umarmung, ein Lob. Manche Kinder erschrecken richtig, wenn ich sage, ich bin stolz auf dich! Dann schauen sie mich mit großen Augen an, weil sie das überhaupt nicht gewöhnt sind." 

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Ich glaube, gerade an der Arbeit dieser Fachkraft für Frühförderung kommt klar raus ... immer häufiger brauchen Kinder heute deshalb so etwas, weil sie vernachlässigt werden .. und das sind nicht nur Kinder aus sozialschwachen Elternhäusern, die insgesamt Probleme haben, sondern eben auch immer mehr aus reichen Elternhäusern, deren Eltern einfach nicht verstehen, wie wichtig die Rolle der Eltern für die Entwicklung ihrer Kinder ist und denen das Geldverdienen einfach vorgeht. Die Kinder bleiben dabei auf der Strecke, was diesen Menschen oft gar nicht klar ist.

LG
Renate

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