Freitag, 20. April 2018

Noch ein viel besserer Text aus dem Spiegel zu Hartz IV

Sehr komplex und es wird endlich mal das angesprochen, was wirklich Sache ist


 Damit es nicht so fad ausschaut, untermalt von ein paar Fotos von heute.

Hier der Link:

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/was-an-hartz-iv-wirklich-abgeschafft-gehoert-a-1202763.html

Titel und Untertitel daraus:

 Was an Hartz IV wirklich abgeschafft gehört

Politiker und Sozialexperten fordern ein "Ende für Hartz IV" - nur was soll danach kommen? Ein vollkommen neues System ist unrealistisch. Doch es gibt Mängel der Grundsicherung, die beseitigt werden sollten.
 Es ist ein sehr langer Text .. ich empfehle, den wirklich ganz zu lesen, es lohnt sich.

Ich stelle hier nur mal ein paar besonders gute Textauszüge davon rein:

Manchen Kritikern ist das viel zu wenig. Sie fordern die komplette "Abschaffung" von Hartz IV, wahlweise auch die "Überwindung" - und erhalten viel Zustimmung. 60 Prozent der Bürger wollen eine grundsätzliche Änderung von Hartz IV, rund 40 Prozent sogar eine "eindeutige". Das Problem ist nur: Niemand hat ein schlüssiges und mehrheitsfähiges Konzept, was danach kommen soll. Und wo Kritiker einen vermeintlichen Ersatz anbieten, erfüllt er diesen Anspruch schlicht nicht. Bestes Beispiel ist das "solidarische Grundeinkommen", von dem nicht einmal zehn Prozent der offiziell arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger profitieren würden.
 Eigentlich ist klar: Aus der Grundsicherung kommt man nur durch Erwerbsarbeit, am besten in Vollzeit. Allerdings setzt das System kaum Anreize dazu: Von jedem Euro, den man über den Freibetrag von 100 Euro hinaus verdient, wird die Grundsicherung um 80 oder sogar 90 Cent gekürzt. "Das Signal ist: Ihr dürft maximal marginal arbeiten. Und je mehr ihr arbeitet, desto mehr bestrafen wir euch", sagt der Ökonom Andreas Peichl vom Ifo-Institut.
 Nicht nur Peichl hält diese hohe sogenannte Transferentzugsrate für ein dringendes Problem. Auch Anke Hassel, Chefin des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts, sagt: "Der Anreiz, statt in einem Minijob in Teil- oder Vollzeit zu arbeiten, ist gering." Es spricht also einiges dafür, die Zuverdienstgrenzen für Empfänger von Arbeitslosengeld II und anderer Sozialleistungen zu erhöhen, sodass sie 30 oder sogar 50 Cent von jedem verdienten Euro behalten dürfen.
 Doch diese Maßnahme hätte auch Kehrseiten: So würde die Zahl der Menschen im System sprunghaft ansteigen. Wenn zum Beispiel eine Familie mit zwei Kindern heute bis zu einem Bruttoeinkommen von 30.000 Euro im Jahr Anspruch auf Aufstockung mit Hartz IV hätte, könnte sie diesen Anspruch künftig bis zu einem Einkommen von 40.000 Euro haben. Außerdem würde der Staat de facto weite Teile des Niedriglohnsektors subventionieren. Eigentlich müsste daher gleichzeitig auch der Mindestlohn deutlich angehoben werden - was dann wirklich Arbeitsplätze gefährden könnte.
 Die Hartz-IV-Regelsätze sollen eigentlich das Existenzminimum abdecken. Doch dieses wird auf einer fehlerhaften statistischen Grundlage berechnet - und ist deshalb zu niedrig. Außerdem sollte noch eine Flexibilitätsreserve eingerechnet werden, um je nach den persönlichen Umständen im Budget umschichten zu können. Nach Caritas-Berechnungen müsste der Regelsatz für einen Single daher statt 416 Euro um rund 60 Euro höher liegen. (Hier finden Sie eine ausführliche Analyse.)
Die Kehrseiten: Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger würde ebenfalls steigen. Und weil das Existenzminimum auch den Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer festlegt, entgingen dem Staat Einnahmen. 

Die rigide niedrigen Regelsätze wirken sich noch an anderer Stelle fatal aus: Nahezu 600 Millionen Euro mussten Hartz-IV-Empfänger im Jahr 2016 aus eigener Tasche bezahlen, weil ihre Wohnkosten nicht voll vom Jobcenter gezahlt wurden. Anderenfalls müssen sie umziehen. Insbesondere in Städten mit drastisch steigenden Mieten ist das lebensfern und eine unzumutbare Belastung für die Betroffenen.

 
Weil die Regelsätze das Existenzminimum abdecken sollen, ist es grundsätzlich heikel, diese zur Strafe zu kürzen. Dennoch enthielten im vergangenen Jahr 953.000 der rund 30 Millionen Bescheide solche Kürzungen; die meisten um zehn Prozent wegen Meldeversäumnissen. 

 Erstens: Ob jemand Jahrzehnte lang gearbeitet, Steuern und Sozialabgaben gezahlt hat - oder das noch nie getan hat: Hartz IV behandelt beide vollkommen gleich. Das war eine bewusste Entscheidung im Zuge der Agenda-Reformen und sollte die bis dahin bestehende Ungerechtigkeit beseitigen, dass ehemalige Arbeitnehmer unbegrenzt von vergleichsweise komfortabler Arbeitslosenhilfe leben konnten, während andere im Sozialhilfesystem steckten und keinerlei Unterstützung beim Einstieg in den Arbeitsmarkt bekamen.

 Künftig könnte eine Abstufung eingeführt werden. So könnte ehemaligen Arbeitnehmern etwa zugestanden werden, mehr von ihrem selbst erarbeiteten Vermögen behalten zu dürfen. Auch etwas höhere Regelsätze für sie wären eine Möglichkeit, das System gerechter zu machen.


Und nicht zuletzt könnten die harschen Zumutbarkeitsregeln gelockert werden, die ohnehin aus der Zeit gefallen sind: Wenn vielerorts in Deutschland nahezu Vollbeschäftigung herrscht, müssen Menschen nicht mehr in Jobs weit unter ihrer Qualifikation gezwungen werden. Diese Maßnahmen würden den bislang krassen Absturz beim Übergang vom Arbeitslosengeld in Hartz IV abfedern und die in der Mittelschicht zu Recht existierende Angst vor einem Fall ins Bodenlose mildern.
Zweitens: Hartz IV ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende - wer sie bekommt, sollte also in der Lage sein, durch eigene Arbeit wieder aus dem System zu kommen. Es ist auch deshalb so unkomfortabel gestaltet worden, damit niemand auf Dauer darin leben möchte und auch schlecht bezahlte Arbeit annimmt.
Dann aber sollten keine Personengruppen darin leben, die ganz offensichtlich keine Chance haben, auf diesem Weg aus dem System zu kommen. Derzeit trifft das auf einige zu, etwa auf:


  • Kranke: Die Definition von Erwerbsfähigkeit ist in Deutschland weit strenger als in anderen Ländern. Es reicht, lediglich drei Stunden am Tag arbeiten zu können. Damit kann man aber seinen Lebensunterhalt nicht verdienen. Es ist fraglich, ob Menschen mit einer solch starken Erwerbsminderung tatsächlich in ein solches System gehören, dem sie nicht entkommen können - oder ob ihnen nicht ein System zusteht, das ihrer Bedürftigkeit gerecht wird.
  • Kinder: Sie sind per Definition nicht arbeitsuchend. Es gibt Modelle für eine eigenständige Kindergrundsicherung, die geprüft werden sollten.
  • Alleinerziehende: Ihr Risiko, in Hartz IV zu landen, ist statistisch um ein Vielfaches höher als für gemeinsam erziehende Eltern. Ein großer Teil ist auch nicht wirklich arbeitsuchend, sondern hat einen Job, kann aber nicht Vollzeit arbeiten. Es stellt sich die Frage, ob sie wirklich in ein System für Arbeitsuchende gehören. 
  •  
  •  Da hat doch endlich mal wer ein wenig nachgedacht.

  • LG Renate

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