Donnerstag, 28. November 2019

Über die menschenunwürdigen Zustände in unseren Pflegeheimen

Interview mit einer Altenpflegerin

Alleine schon die Überschrift dieses Artikels ist schockierend. Das ist der Grund, warum mir der Text aufgefallen ist und ich reingelesen habe.

Man kann wirklich nur hoffen, im Alter schnell an irgendwas spontan zu sterben, um bloß nicht irgendwann mal in so eine Lage zu kommen und so sein Leben beenden zu müssen.

Ich habe ja mal meine Mama selbst gepflegt und schreibe momentan auch im Großauftrag beruflich für eine Firma, die Leute an Privathaushalte vermittelt, die aus Osteuropa kommen und dann bei den alten Leuten wohnen. Ich habe keine Ahnung, was es dort kostet. Darüber schreibe ich nicht, sondern immer nur, es wäre bezahlbar.

Ich war aber mal in Google suchen und kam zu dem Ergebnis .. das ist nichts für die breite Masse. Das ist was für Leute mit viel Geld, denn natürlich übernehmen die Krankenkassen vieles davon nicht und das muss man dann klar selbst bezahlen, wer sonst .. und wer das nicht kann und wo die eigene Familie auch keine Zeit hat oder es gar keine gibt ... ja dem bleibt nicht erspart, was ich Euch jetzt unten aus diesem erschreckenden Link rauskopiere.

Fazit von mir: Wenn Du arm bist, musst Du nicht nur früher sterben, denn daran wirst Du früher sterben, Du musst Dich vorher regelrecht zu Tode quälen.


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"Die Menschen betteln, um auf Toilette gehen zu dürfen"



Die Zustände in deutschen Pflegeheimen verletzen die Würde des Menschen, sagt Altenpflegerin Eva Ohlerth. Mitschuldig daran seien auch Kollegen, die sich nicht wehren. 
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Knapp eine Million Menschen in Deutschland leben in einem Pflegeheim – und es werden mehr. Sie gehören zu den 3,4 Millionen Menschen in diesem Land, die pflegebedürftig und auf Hilfe angewiesen sind. Familie, Angehörige oder einer der circa 750.000 Pfleger und Pflegerinnen kümmern sich um sie. Gleichzeitig fehlt es an Personal – fast 40.000 Stellen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen konnten 2018 nicht besetzt werden. Kaum jemand wolle den Job mehr machen, sagt die Altenpflegerin Eva Ohlerth. Darüber hat sie ein Buch geschrieben.



ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Zustände in vielen deutschen Altenheimen nicht mit Artikel 1 des Grundgesetzes – die Würde des Menschen ist unantastbar – vereinbar sind. Was meinen Sie damit? 
 Eva Ohlerth: Da wir völlig überlastet und überarbeitet sind, kümmern wir uns nur noch, wenn überhaupt, um die Grundbedürfnisse der alten Menschen. Trocken, sauber und satt sollen sie sein. Das heißt: Ich wasche die Heimbewohner, ziehe sie an, bringe sie zur Toilette und gebe ihnen Essen. Selbst das schaffen wir aber oft nicht, weil wir unterbesetzt sind und das alles im Laufschritt machen. Das führt dazu, dass wir Patienten abwimmeln müssen und zum Beispiel keine Zeit haben, sie zur Toilette zu bringen. Pflegekräfte können kaum mehr umsetzen, was sie einmal gelernt haben. 

ZEIT ONLINE: Was wäre das?

Ohlerth: Den Menschen so lange wie möglich selbständig zu erhalten. In meiner Ausbildung habe ich gelernt, die Person ganzheitlich zu pflegen. Dazu gehört, dass ich ihre Biografie kenne und darauf eingehen kann, was sie interessiert. Darauf, was sie sich vom Leben noch wünschen. Wenn eine Pflegekraft weiß, dass eine alte Dame früher gerne gestrickt hat, sollte sie ihr etwa Strickzeug besorgen. Wenn ein Herr früher nur Klassik gehört hat, sollte sie ihn nicht vor ein Radio mit bayerischer Volksmusik setzen. In der Realität sagen wir den Leuten aber nur noch, dass wir keine Zeit für sie haben.  
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ZEIT ONLINE: Um wie viele Menschen sollte sich eine Pflegekraft kümmern müssen?

Ohlerth: Generell kann man das nicht sagen. Wenn ich einen Menschen mit Parkinson habe, der nicht mehr so beweglich ist, kann ich ihm nicht in derselben Zeit beim Anziehen helfen wie einem anderen, der mobiler ist. Es hängt vom Pflegegrad ab, selbst beim niedrigsten sollten auf einen Pfleger höchstens acht Bewohner pro Schicht kommen, beim zweiten Pflegegrad sind es vier. Aber das wird nicht eingehalten. Eine durchschnittliche Pflegekraft in einem Heim hat mindestens zehn Menschen, um die sie sich kümmern muss. Und nach oben gibt es keine Grenze. 
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 ZEIT ONLINE: Merken Sie die fehlende Wertschätzung noch an anderer Stelle? 
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 Das kommt vielleicht auch davon, dass die Berufsbezeichnung Pflegekraft nicht geschützt ist. Altenpfleger hingegen dürfen sich nur ausgebildete Fachkräfte nennen. Weil aber das Älterwerden in unserer Gesellschaft schlecht angesehen ist, ist diese Berufsbezeichnung schon fast ein Schimpfwort.
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 Ohlerth: Psychische Gewalt fängt an, wenn Pflegekräfte Patienten duzen, sie Schätzchen, Omi oder Opi nennen oder sie einfach ignorieren. In meinen mehr als 25 Jahren in der Pflege habe ich erlebt, wie Menschen um Hilfe riefen und niemand kam. Wie Menschen darum gebettelt haben, auf die Toilette gehen zu dürfen. Wie sie manchmal für Stunden in ihren eigenen Ausscheidungen liegen bleiben mussten. Einmal habe ich mitbekommen, dass eine Bewohnerin auf einem vollen Toilettenstuhl sitzen musste, während sie mit ihrer Zimmernachbarin das Mittagessen einnahm. Bei dem Anblick hätte ich am liebsten geweint. 
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ZEIT ONLINE: Was haben Sie getan? 

Ohlerth: Ich habe die Frau von ihrem Stuhl heruntergeholt und gesäubert. Sie schlug nach mir, weil sie nicht glaubte, dass ich ihr nur helfen wollte. Sie war geistig noch fit, hat aber nicht mehr gesprochen und sich nicht mehr über ihren Zustand beschwert, weil sie sich in diesem Heim so gedemütigt fühlte. Später schenkte sie mir einen Schokoladen-Nikolaus, den sie seit Weihnachten für einen besonderen Anlass aufbewahrt hatte – das war alles, was sie noch hatte. 

ZEIT ONLINE: Kommen solche Vorfälle häufiger vor? 

Ohlerth: Ja. Und die Pflegekräfte reagieren unterschiedlich. Ich kam einmal ins Zimmer einer bettlägerigen Dame mit chronischem Durchfall, in dem eine Kollegin war. Als sie sah, dass die Einlage der alten Dame voll war, schrie sie die Frau an und beschimpfte sie als "alte Sau, die wieder ins Bett geschissen hat". Die Kollegin wollte pünktlich Feierabend machen und ärgerte sich, dass sie sich nun darum kümmern musste. 
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ZEIT ONLINE: Wie kommt es dazu, dass Pflegekräfte sich so verhalten?

Ohlerth: Die Bezahlung von Pflegekräften ist beschämend und die Gesellschaft schätzt sie nicht wert. Viele Arbeitgeber behandeln ihre Pflegekräfte wie Sklaven. Sie respektieren etwa nicht, dass jemand Urlaub hat und rufen ihn oder sie an freien Tagen trotzdem an. Dann machen sie Druck, dass man sofort zur Arbeit kommen soll. Wer will so einen Beruf, der schlecht bezahlt und nicht angesehen ist, kaum Privatleben zulässt und bei dem man jederzeit auf Abruf bereitstehen muss? Aber das darf keine Entschuldigung für Gewalt an alten wehrlosen Menschen sein. 
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ZEIT ONLINE: Zum Beispiel?

Ohlerth: Zu Beginn meiner Ausbildung habe ich mehrere Monate lang Medikamente nicht fachgerecht ausgeteilt. Eine Pflegerin hatte mich angewiesen, dass ich die Tropfen schon am Abend in kleine Becher verteilen solle, um sie am Morgen schneller ausgeben zu können. Später, während des theoretischen Teils in der Schule, habe ich gelernt, dass die Tropfen ihre Wirkung verändern oder sogar wirkungslos werden, wenn sie nicht in den braunen, lichtgeschützten Fläschchen aufbewahrt werden. Ab da war es für mich keine Frage, dass ich es so mache, wie ich es in der Schule gelernt habe. Die Stationsleiterin war sauer – und ich wurde von der Aufgabe befreit und dazu verdonnert, Bettpfannen zu putzen.  
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 ZEIT ONLINE: War das in allen Altenheimen so, in denen Sie gearbeitet haben?
Ohlerth: Oft. Wenn ich schlimme Missstände miterleben musste, habe ich mir einen neuen Job gesucht. Es ist beispielsweise üblich, dass die Dokumentationen gefälscht werden und jeder Bescheid weiß. Das heißt: Die Pflegekräfte tragen dort Leistungen ein, wie Toilettengänge oder Trinkprotokolle, die sie nicht erbracht haben. Mit der Unterschrift gilt die Leistung als erbracht. Schaut man sich die Menschen aber an, weiß man, dass etwas nicht stimmt. Wenn jemand ins Krankenhaus kommt, völlig ausgetrocknet ist, aber laut Dokumentation jeden Tag zwei Liter getrunken hat, ist völlig klar, was passiert ist. Und das kommt vor, obwohl die Leute, etwa in Bayern, zwischen 3.800 und 4.000 Euro für einen Platz im Pflegeheim zahlen. 
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ZEIT ONLINE: Warum sprechen so wenige Pflegekräfte öffentlich darüber, dass sie ihre Arbeit nicht mehr schaffen können?

Ohlerth: Die Angst vor den eigenen Kollegen und Vorgesetzten spielt eine Rolle, auch Mobbing ist ein großes Thema. Viele fürchten, entlassen zu werden. Das ist verrückt, denn niemand muss Angst davor haben, keine Stelle zu bekommen. Durch den Pflegenotstand kommen auf eine Kraft rund 50 freie Stellen.



ZEIT ONLINE: Haben Sie Angst, Nachteile zu erfahren, weil Sie sich an die Öffentlichkeit wenden?

Ohlerth: Ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht. Wir Pflegerinnen und Pfleger jammern viel. Aber wenn es darauf ankommt, dass wir uns wehren, dann schweigen wir. Wir alle machen mit, schauen zu und wir alle tragen Schuld – das will ich nicht mehr. 
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 ZEIT ONLINE: Jens Spahn will sich ja sehr für die Pflege einsetzen. Er fliegt um die Welt, um Fachkräfte anzuwerben. Was halten Sie davon?
Ohlerth: Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als Pflegekräfte aus dem Ausland anzuheuern. Nur: Wir sollten erst mal unsere eigenen Pflegekräfte zurückholen, die nicht mehr arbeiten wollen, weil sie die Bedingungen nicht mehr aushalten. Gut ausgebildete Pflegekräfte aus dem Ausland werden nicht bleiben, wenn sie merken, was wir für katastrophale Arbeitsbedingungen haben. Es wäre aber zu leicht, nur der Politik die Schuld für das alles zu geben. Kein Politiker zwingt uns, schlecht bezahlt zu werden, miserabel zu pflegen oder die Menschen in ihren Ausscheidungen liegen zu lassen. Das machen wir schon selbst.  
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ZEIT ONLINE: Was muss sich also ändern?

Ohlerth: Wir müssen aufhören, zu schweigen. Die Pflegekräfte müssen die schlimmen Zustände öffentlich machen und sagen, dass ihre Arbeit nicht mehr zu schaffen ist. Man lädt Angela Merkel in ein Pflegeheim ein und zeigt ihr eine saubere Bewohnerin. Warum darf Frau Merkel nicht Leute sehen, die um Hilfe rufen? Die mit einer Windel durch den Gang gehen, die schon runterhängt, weil sie so voll ist. Warum muten wir der Öffentlichkeit die Wahrheit nicht zu? Wenn die Branche von heute an ehrlich wäre, bräuchte sie keinen TÜV mehr. Die Gesellschaft schaut weg, aber wir zeigen ihr die Probleme auch nicht. 
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ZEIT ONLINE: Arbeiten Sie noch gerne als Pflegerin?

Ohlerth: Ja. Ich glaube, niemandem ist es am Anfang angenehm, Leuten die Einlagen zu wechseln, sie aus dem Stuhlgang zu holen, sie zur Toilette zu führen. Aber ich glaube, dass jeder Mensch kompetente Pflege verdient hat. Und dass wir Menschen auch im Alter auf Augenhöhe begegnen sollten. Bei uns ist die Kultur verloren gegangen, dass die Alten als weise angesehen werden. Aber jeder von uns weiß, wie es sich anfühlt, wenn man krank ist oder sich ein Bein gebrochen hat und auf fremde Hilfe angewiesen ist. Alt werden wollen wir alle, aber alt sein nicht. Wir müssen das Alter wieder als normal ansehen und die Alten zurück in die Gesellschaft lassen. Darum bemühe ich mich in meinem Job. 
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 Tja ... erschütternd, nicht?

LG
Renate


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