Wie sich die Pandemie-Maßnahmen auf die Berufsperspektiven der jungen Leute auswirken
Welche Perspektive hat die Generation Corona?
Fehlende Ausbildungsplätze, steigende Arbeitslosigkeit, abstürzende Konjunktur – welche Perspektiven hat die Jugend?
Krispin packt an, wenn er auf Tour ist. Man kann sich den großgewachsenen Mann mit den breiten Schultern und kräftigen Händen gut vorstellen, wie er Lautsprecherboxen auf die Bühne hievt und Kilometer an Stromkabeln verlegt. Der 25-Jährige macht eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker. Es ist sein Traumberuf. Und jetzt? In der Corona-Pandemie herrscht Flaute in den Konzertsälen und auf den Bühnen – auch hier auf der Parkbühne Leipzig. Krispin ist hergekommen, um zu zeigen, was eigentlich seine Welt ist. Und was von ihr noch geblieben ist.
Der Auszubildende streift durch leere Sitzreihen, öffnet eine Hintertür und steigt eine Treppe in den Technikraum empor. Licht? Sound? Das alles zu kontrollieren, könnte jetzt Krispins Aufgabe sein. Wäre normaler Betrieb, dann würde er an den Reglern sitzen, während unten Rockbands die Menge toben oder Symphonieorchester ihre Zuhörer still lauschen lassen. Doch die Corona-Krise hat für Krispins Leben vorerst einmal eine Zwangspause eingelegt.
So wie ihm ergeht es in der Corona-Krise vielen jungen Menschen. Wie geht es mit der Ausbildung weiter? Lässt sich mit dem Studienabschluss in absehbarer Zeit ein Job finden? Gibt es für Schulabgänger überhaupt einen Ausbildungsplatz? Oder droht jetzt einfach nur Leerlauf – und das in genau den Jahren, die den ganzen Lebenslauf prägen können? Das sind die drängenden Fragen, die in der Pandemie viele junge Menschen beschäftigen.
„Schüler, Studenten und Absolventen erleben in der Corona-Krise eine abrupte Veränderung, die nicht leicht zu verkraften ist“, sagt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Bis vor kurzem sei angesichts von demografischem Wandel und Fachkräftemangel die klare und zutreffende Botschaft an die jungen Menschen gewesen: „Wer jetzt fertig wird, der hat freie Bahn.“ Hurrelmann setzt hinzu: „Das hat sich von heute auf morgen gewandelt.“
Der Jugendforscher sagt: „Die Sicherheit, das Gefühl, die Welt habe auf einen gewartet, die in jeder Hinsicht optimistischen Perspektiven – das alles ist für die Generation Corona urplötzlich wieder weg.“ Das müsse sich für viele wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen.
Krispin weiß, was es heißt, einen solchen Schlag zu spüren – aber er kennt auch bessere Tage. Über seinen Job spricht der Auszubildende fast schon poetisch. „Du arbeitest tagelang, schlägst dir die Nächte um die Ohren – bei Regen, Sturm und Hitze“, sagt Krispin. Und dennoch: „Wenn auf einmal der Bass einsetzt und die Lichter flackern, das entschädigt für vieles.“
Mit einer Ausbildung als Veranstaltungstechniker machte der 25-Jährige sein Hobby zum Beruf. Vom heimischen Jugendclub hinter die große Bühne. Krispin erinnert sich noch, wie er und seine Kollegen im vergangenen Dezember das erste Mal vom Coronavirus in China hörten und wie sie damals erste dunkle Vorahnungen hatten. Wie sie dann später im Kollegenkreis über die schockierenden Bilder aus Norditalien sprachen, als dort die Pandemie wütete. Wie Corona immer näher kam.
Und natürlich weiß er auch noch, wie im Betrieb dann auf einmal alles vorbei war. „Wir hatten zuvor noch ein paar Konzerte und räumten morgens den Lkw mit Equipment ein“, erinnert sich Krispin. „Wir saßen quasi schon im Wagen und wollten losfahren.“ Da sei die Nachricht gekommen: „Großveranstaltungen verboten – Kommando zurück.“
Erst mal nicht mehr weitermachen zu können, ist das eine. Gar nicht erst in den Job hineinzukommen, das andere. Als Tomasz Gütschow nach sieben Jahren sein Masterzeugnis vom Karlsruher Institut für Technologie in der Tasche hatte, da hätte ihm eigentlich die Welt offenstehen sollen. Das Studium an dem renommierten Institut kommt eigentlich einer Jobgarantie gleich. Doch in diesem Jahr war alles anders.
„Ich kam im März gerade von der Uni, da ging es richtig los mit dem Absturz der Wirtschaft“, erinnert sich der 27-Jährige, der sein Studium als Wirtschaftsingenieur abgeschlossen hat. Schnell traf der Corona-Lockdown weite Teile der Automobil- und Zuliefererindustrie, aber auch andere Wirtschaftsbereiche. Stellenstreichungen, Kurzarbeit und fehlende Angebote für Bewerber Gütschow waren die Folge.
Lange Wartezeiten, pausierte Einstellungsverfahren oder Absagen seien fortan die Regel gewesen, sagt Gütschow. Er schrieb Dutzende Bewerbungen, dachte über Leiharbeit oder Weiterbildungen nach. Das alles habe ihn psychisch sehr belastet. So klingt einer, der weiß, was mit ihm passiert – und dass er an seiner Situation keine Schuld hat. Der aber dennoch ratlos ist, was er tun soll. „Ich bin bereits verheiratet und Vater eines zweijährigen Sohnes“, sagt der 27-Jährige. „Da ist der Druck natürlich riesig, so schnell wie möglich Geld für die Familie zu verdienen.“
Aus der Sicht von Arbeitsmarkt- und Jugendforschern ist der Absolvent Gütschow noch in einer vergleichsweise guten Position. „Die gut Qualifizierten werden ihren Weg finden“, sagt Hurrelmann. Es seien diejenigen, die sich ohnehin schon schwer täten, eine Ausbildung oder einen Beruf zu finden, deren Lebensweg dauerhaft Schaden nehmen könnte.
Was also ist mit denen, die ihre Ausbildung zu verlieren drohen, weil der Betrieb, in dem sie arbeiten, in die Insolvenz geht? Und mit denen, die gar nicht erst den gewünschten Ausbildungsplatz finden? Insbesondere in Gaststätten und Hotels, in der Metall- und Elektrobranche und im Friseurhandwerk ist die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen zurückgegangen. Betroffen sind aber auch kaufmännische Ausbildungen und sogar Informatikberufe, wie die Bundesagentur für Arbeit mitteilt.
„Mir ist wichtig, dass junge Menschen auch im Jahr 2020 eine Ausbildung beginnen oder abschließen können“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Deshalb müssen wir Ausbildung gerade in schwierigen Zeiten am Laufen halten und unbedingt eine ,Generation Corona‘ verhindern.“ Er ruft die Unternehmen auf: „Bildet aus!“ Das sei auch wichtig mit Blick auf die Fachkräftesituation von morgen.
Die Bundesregierung hat auf die Situation reagiert und einen Rettungsschirm für Ausbildungsplätze auf den Weg gebracht – für rund 500 Millionen Euro. Kleine und mittelständische Firmen, die mit großen Umsatzeinbrüchen und Kurzarbeit zu kämpfen haben, aber ihre Ausbildungsplätze erhalten oder sogar ausbauen, sollen staatliche Prämien von bis zu 3000 Euro pro Ausbildungsplatz bekommen. Eine Prämie gibt es auch, wenn Unternehmen Azubis von pandemiebedingt insolventen Betrieben übernehmen. Betriebe mit extremen Einbrüchen können sich große Teile des Azubi-Lohns erstatten lassen.
Jugendforscher Hurrelmann hofft, dass die Maßnahmen wirken – nicht nur mit Blick auf die wirtschaftlichen Perspektiven der jungen Menschen. Auch der Gesellschaft drohe gerade etwas verloren zu gehen. „Das ist eine sehr politische junge Generation, die in der Klimadebatte wichtige Impulse setzt“, sagt Hurrelmann. Sichere Perspektiven für den eigenen Ausbildungsweg bildeten eine Grundlage dafür, dass die jungen Menschen sich so engagieren könnten.
Diejenigen, die den Kern von „Fridays for future“ bildeten, würden mit Sicherheit am Ball bleiben, glaubt der Forscher – auch wenn die Pandemie die Arbeit der Aktivisten zurzeit in erheblichem Maß lahmlege. Doch bei vielen, die in besseren Zeiten die Bewegung auch zahlenmäßig groß gemacht hätten, liege es nahe, dass sie sagten: „Ich muss erstmal schauen, wo ich bleibe.“
Glück und Unglück liegen für den Einzelnen momentan nah beieinander. Es braucht nur den einen rettenden Anruf, der das ganze Leben wieder ins Lot bringt.
Nach 65 Bewerbungen und sieben Vorstellungsgesprächen hatte Wirtschaftsingenieur Gütschow genau ein Jobangebot. Er griff natürlich zu. Für den jungen Vater und seine Familien war es die Erlösung – nach harten Monaten. „Mein Antrieb hat von Woche zu Woche stetig abgenommen“, sagt er. „Ich will mir nicht ausmalen, wie meine Gefühlslage wäre, wenn diese eine Bewerbung nicht erfolgreich gewesen wäre.“
Auch der Veranstaltungstechniker Max Krispin verliert seinen Ausbildungsplatz nicht – Lehrlinge sind, solange der Betrieb nicht zahlungsunfähig wird, besonders geschützt. Dennoch quält ihn die Frage, wie es weitergeht. Er kann zurzeit nicht die Erfahrungen machen, für die so eine Ausbildung eigentlich gedacht ist. Keine Konzerte, keine Arbeit, keine Berufserfahrung. So einfach ist das.
Die Auszubildenden, die ihre Ausbildung jetzt beendeten, hätten große Zukunftssorgen. „Wer stellt schließlich neue Leute ein, wo noch nicht mal sicher ist, wie lange noch Großveranstaltungen verboten sind?“ Krispin selbst treibt außerdem noch etwas anderes um: „Wer garantiert mir später, dass meine Ausbildung genauso viel wert ist wie die von anderen Jahrgängen?“
Krispin, der sich in der Gewerkschaft engagiert, befürchtet wie Hurrelmann, dass viele in der Krise zuerst auf sich selbst schauten – und zu wenig auf die anderen oder das Gemeinsame. Gleichzeitig schüttelt die Krise sein eigenes Leben kräftig durch. Was weiter als zwei Monate entfernt sei, plane er nicht mehr, sagt Krispin. Und: „Es ist ein ständiges Gefühl der Unsicherheit.“
Der fehlende Alltag, die Langeweile – es gleiche einem Kontrollverlust, sagt er. Dabei gehe es nicht nur um Arbeit. „Ich will doch auch mal raus, Menschen kennenlernen, was Neues machen. Es ist einfach frustrierend.“
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LG
Renate
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