Ein Artikel von Zeit online über qualifizierte Berufeeinsteiger heute
Das liest sich sehr niederschmetternd, denn wer in vielen Jahren ein Abitur hingelegt hat, mit dem er studieren konnte, dann sogar das Studium geschafft hat, der hat viel geleistet und noch nichts dafür wiederbekommen.
Und wenn selbst diese jungen Menschen heute wegen der Corona-Krise total schlechte Chancen haben, was sollen denn die sagen, die weniger gut ausgebildet sind?
Ich möchte das mal hierher übernehmen, denn auch das ist was, was in einen Zeitzeugen-Blog wie den von uns reingerhört:
Quelle:
...
Sinn, Spaß, Sabbatical. Die Millennials hatten viele
Wünsche für ihre Arbeit. Dann kam die Krise. Hohe Ansprüche können
Jobeinsteiger sich jetzt kaum noch leisten.
8. Juni 2020, 13:19 Uhr
Dieses Jahr wollte sie endlich das tun, wofür sie wirklich brennt: mit
Seevögeln arbeiten. Daniela Raue* hatte nach der Abgabe ihrer Promotion
in Biophysik ein Jahr voller Freiwilligenarbeit und Praktika geplant.
Sie wollte den Beruf wechseln: von der Biophysikerin zur
Naturschützerin. Von der Vernunft zur Leidenschaft. Eine dreimonatige
Stelle auf einer Seevogelinsel vor Wales hatte sie schon sicher. Am 1.
April sollte es losgehen – doch dann kam der Lockdown.
Statt in Wales sitzt Raue jetzt in München und schreibt Bewerbungen: Um
Arbeitslosengeld zu erhalten, muss sie sich auch für Jobs in ihrem
Berufsfeld, der Biophysik bewerben. "An manchen Tagen bin ich voller
Hoffnung, dass ich Ende des Jahres doch noch wenigstens ein Praktikum
machen kann", sagt sie. An anderen Tagen mache sie die fehlende
Planungssicherheit verrückt. Die Praktika wurden abgesagt und die
Jobbewerbungen sind bisher erfolglos. Raue hat keine Ahnung, wo sie in
einem halben Jahr stehen wird.
Die heute Anfang 20-Jährigen bis Mitte 30-Jährigen gelten als anspruchsvolle Arbeitnehmer: Sie wollen freitags frei haben , von zu Hause arbeiten , aber auch die Kolleginnen zum Feierabendbier im Büro treffen. Ihnen ist es wichtig, etwas Sinnvolles zu tun
– und trotzdem ein ordentliches Gehalt zu bekommen. In Jobinterviews
stellen sie kritische Fragen: Was ist das für ein Unternehmen? Welche
Dienstleistung verkaufe ich da? Sind die wirklich nachhaltig? Was kann
ich lernen? Wie viel Mitbestimmung gibt es? Wie viel
Entfaltungsspielraum? Auf welchen Werten basiert die Arbeit?
Felix Schorre, Mitgründer der Personalvermittlung Rebel Recruiting,
kennt die Ansprüche dieser Generation gut. Er vermittelt junge Talente
"an agile Unternehmen, bei denen nicht der alte weiße Mann im Chefsessel
sitzt". Bis vor Kurzem hätten sich gut qualifizierte Berufseinsteiger
die Jobs aussuchen können. "Selbst Bachelorabsolventen sind mit
selbstbewussten Gehaltsvorstellungen durchgekommen", sagt Schorre. Doch
seit einigen Wochen beobachtet er, wie der Arbeitsmarkt etwas weniger
arbeitnehmerfreundlich wird. In der Krise habe sich die Auftragslage
bei Rebel Recruiting etwas
verschoben: "Durch die Unsicherheit im Moment fahren viele Unternehmen
mit angezogener Handbremse", sagt Schorre. Es werde zwar noch neu
eingestellt, aber weniger. Und es wird sehr viel kritischer gesucht.
Knapp eine halbe Million Studierende kommt dieses Jahr auf den
Arbeitsmarkt. Viele von ihnen sind wie die 30-jährige Raue gut
ausgebildet, sprechen etliche Sprachen, haben Auslandserfahrung und
jahrelang studiert. Was sie nun merken: Sie werden gerade nicht
gebraucht. 2020 ist für Berufsanfänger ein Jahr, in dem lang geplante
Praktika ausfallen. Sie müssen Auslandsaufenthalte absagen oder können
erste Verträge doch nicht unterschreiben. Was macht das mit ihren
Erwartungen? Sind die 30-Stunden-Woche und flexible Arbeitsorte nun
Luxusgedanken? Geht es für die 20- bis 30-Jährigen vor allem darum, über
die Runden zu kommen?
Deutsche Berufseinsteiger haben, unabhängig von der Krise, einen
entscheidenden Vorteil gegenüber amerikanischen: Sie müssen in der Regel
keine Studienkredite in Höhe von mehreren Zehntausend Dollar
abbezahlen. Spricht man mit jungen Akademikerinnen, Studienabgängern,
Promovierten in Deutschland, so sind es weniger die finanziellen
Existenzängste, die Corona schürt. Viel mehr sorgen sie sich, dass all
ihre Wünsche und Hoffnungen auf ein Leben mit Arbeit plus Sinn nicht in
Erfüllung gehen. Dass sich die Möglichkeiten verkleinern.
Diesen Eindruck bestätigt der Psychologe Rüdiger Maas. Die nach ihm
benannte Unternehmensberatung hat seit Beginn der Corona-Krise
wöchentliche Umfragen in ganz Deutschland gemacht. "Für die jungen Leute
spielt Geld bisher nicht die größte Rolle", sagt Rüdiger Maas. Vor
allem die Generation Z, also die nach 1995 Geborenen, sei sehr behütet
aufgewachsen und hätte sich bis jetzt wenig Gedanken ums Finanzielle
machen müssen. "Die Jungen wissen, im Zweifel werden Mama und Papa für
sie da sein", sagt Maas. "Schlimmer ist für sie, dass sie ihre Ansprüche
enorm runterfahren müssen." Die Krise verändere die Perspektive einer
Generation, die es gewöhnt sei, für einen guten Job ins Ausland zu gehen
und aus einer Vielzahl von Jobs auswählen zu können.
Melanie Fuchs*, Anfang 30, arbeitet seit Jahren in der Digitalwirtschaft
im Marketing. Auch sie hat hohe Ansprüche an ihren Job. Trotz zwei
Kindern arbeitet sie voll, nennt sich selbst einen Workaholic. Weil ihr
jetziger Arbeitgeber, eine Unternehmensberatung, aus strategischen
Gründen geschlossen wird, muss sie sich etwas Neues suchen. Genau 107
Bewerbungen hat sie geschrieben, saß ein Dutzend Mal in Videokonferenzen
zum Vorstellungsgespräch mit potenziellen Arbeitgebern. Keine einzige
Zusage. "Es lief gut in viele Gesprächen", sagt Fuchs, die ihren Namen
nicht im Internet lesen will, um bei künftigen Arbeitgebern nicht
verzweifelt zu wirken. "Mir wurde signalisiert, dass man mich haben
will." Doch am Ende hieß es immer, man müsse auf Sicht fahren. Die
Unternehmen vertrösteten Fuchs darauf, sich in ein paar Wochen wieder zu
melden. Denn in der Krise wissen viele Firmen nicht, ob sie auch in
einem halben Jahr genügend Geld für neue Stellen haben. Oder ob sie
überhaupt noch existieren. "Ich habe Verständnis für die Situation der
Firmen", sagt Fuchs. "Aber die vielen Gespräche kosten unheimlich viel
Zeit."
Fuchs hat viele der Eigenschaften, die Wissenschaftler ihrer Generation
zuschreiben. Sie ist ehrgeizig, gut ausgebildet und will etwas tun, das
ihr und der Welt Sinn stiftet. Ein Firmenhandy, flexible Arbeitszeiten
und das Recht auf Homeoffice hält sie für selbstverständlich. Darauf
verzichten möchte sie auch nicht, wenn sie bis Herbst keinen neuen Job
findet. "Dann gehe ich lieber in die Selbstständigkeit", sagt sie. Ihr
Plan: Wenn sie bis Herbst nicht ihren Traumarbeitgeber gefunden und ein
ordentliches Angebot erhalten hat, will sie sich als Beraterin
selbstständig machen und an einem Buchprojekt arbeiten.
"Siehst du in der Krise eine Chance?" Auch diese Frage haben der
Generationenforscher Rüdiger Maas und seine Kollegen in ihren Umfragen
gestellt. Sie haben große Unterschiede zwischen den Alterskohorten
festgestellt. Die Generation, die Maas X nennt, geboren zwischen 1965
und 1975, habe auf diese Frage weit weniger positiv geantwortet als die
heute um die 30-Jährigen. "Die Älteren haben ganz einfach mehr zu
verlieren", erklärt Maas. Wer zwei Kinder hat und vielleicht ein Haus
abbezahlen muss, der sehe die Krise kritischer. Die Jüngeren hingegen
hätten seltener Geldsorgen und seien flexibler.
Selbst wenn die Jungen nun etwas länger auf ihren ersten Job warten
müssten oder mit weniger Geld einstiegen, prognostiziert Maas, es sei
nicht zu erwarten, dass die Berufseinsteiger deshalb auf die Barrikaden
gingen. "Diese Generation riecht nicht nach Revolte", sagt Maas. Das könne man gut an der Fridays-for-Future-Bewegung beobachten.
Da werde nicht blockiert und boykottiert. Diese Generation sei da einen
Schritt weiter als andere vor ihr. "Sie geht mit der Krise konstruktiv
um", sagt Maas. Oder etwas weniger schmeichelhaft formuliert: Diese
Generation tut, was sozial von ihr erwünscht wird. Sie erwartet nicht
nur Flexibilität von ihrem Arbeitgeber, sondern ist auch selbst
flexibel, wenn es darauf ankommt – wie jetzt in der Krise.
* Der Name wurde auf Wunsch der Protagonistin nachträglich geändert.
...
LG Renate
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