Weihnachten feiern ist nicht das Problem Nummer 1 in diesem Land
Viele Menschen machen sich jetzt Gedanken darum, wie in der Corona-Zeit wohl das Weihnachtsfest 2020 ausfallen wird, was ja bisher noch niemand genau weiß.
Schon vorher gingen ja viele schöne Dinge, die das Leben einfach schöner machen können, fast das ganze Jahr über den Bach runter.
Auch die sonst so schöne Vorweihnachtszeit fällt ja so gut wie flach dieses Jahr .. Silvester wird es noch schlimmer ausschauen, sich das auszumalen, dazu gehört nicht viel Fantasie.
Aber dass das alles nicht das eigentliche Problem ist, darüber hat jemand einen Leitartikel in der Frankfurter Rundschau geschrieben. Aus dem Text ziehe ich Euch hier mal was von raus, weil ich diese Denkweise sehr interessant finde.
Quelle:
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Leitartikel
Corona und Weihnachten: Nicht das Virus ist ungerecht, sondern die Politik
Streiten wir ruhig über Weihnachten in Corona-Zeiten. Aber wer redet über Gerechtigkeit? Der Leitartikel.
Es nimmt kein Ende, und es zehrt an den Nerven. Jeden Tag diese Zahlen – Infizierte, Inzidenz, R-Wert, vor allem: Verstorbene; jeden Tag die Sorge um die schulpflichtigen Kinder oder die Gesundheit am Arbeitsplatz oder beides; jeden Tag das fehlende Schwimmbad, das geschlossene Kino, der ausgefallene Kneipenbesuch, und jeden Tag die Frage: Freunde treffen oder nicht, und wenn ja, wie viele?
Weihnachten und Corona: Es ist noch nicht geschafft
Das alles wird uns nun also bis Weihnachten und darüber hinaus begleiten, und die öffentliche Begleitmusik haben wir längst im Ohr: Es ist noch nicht geschafft, die Zahlen sind zu hoch, wer jetzt Verantwortung zeigt, darf sich umso mehr auf den nächsten Sommer freuen – und vielleicht sogar schon auf Weihnachten zu zehnt.
Es gibt in dieser Situation zwei Formen der Reaktion, die zwar die Stimmung zu prägen scheinen, aber beide nicht empfehlenswert sind.
Reaktionen auf Corona-Beschränkungen: Faseln von „Diktatur“ oder fügen in den Lockdown
Einige Menschen flüchten sich in eine Opfer-Erzählung, die sie in den eigenen Augen als mutige Widerständlerinnen und Widerständler erscheinen lässt. Sie gehen auf die Straße, faseln etwas von „Diktatur“, obwohl sie wissen müssten, was Diktaturen mit Demonstrierenden machen, und vergleichen die bundesdeutschen Verhältnisse in einer wahnwitzigen Verharmlosung historischer Verbrechen mit der Herrschaft der Nationalsozialisten.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich dem Lockdown still und leise fügen. Schweren Herzens vielleicht und im Bekanntenkreis schimpfend, aber insgesamt in einem Gehorsam, der sich unterordnet, ohne groß Fragen zu stellen.
Das mag etwas schematisch klingen, und sicher gibt es zwischen den Extremen eine Menge Abstufungen. Und doch scheinen diese Grundströmungen die Atmosphäre zu bestimmen. Warum das ein Problem ist? Weil es so vieles zu bedenken und zu besprechen gäbe – notfalls eben über die digitalen Kanäle, die uns bleiben –, das in der düsteren Stille ebenso untergeht wie im Geschrei der Nichtdenker, die sich „Querdenker“ nennen.
Die Pandemie trifft nicht alle gleich
Zum Beispiel dies: Diese Pandemie trifft nicht alle gleich, und da geht es keineswegs nur um den Unterschied zwischen alt und jung oder vorerkrankt und gesund. Hier gibt es immerhin jede Menge alltäglicher Solidarität. Es wird für die alte Nachbarin eingekauft, dem Gastwirt um die Ecke wird etwas Geld für die beschäftigungslosen Servicekräfte zugesteckt, der Kollege geht ins Büro, wenn die Kollegin auf ihr Kind aufpassen muss.
Aber so bewundernswert das ist, es sollte nicht alles sein. Da ist nämlich noch eine schlichte Erkenntnis: Diese Pandemie legt die ungleiche Verteilung von Reichtum, von Entfaltungsmöglichkeiten, von Lebenschancen in unserer Gesellschaft schonungslos offen – und erst recht global.
Die Priviligierten sollten nicht schweigen
Auch wer in einer ruhigen Gegend eine großzügige Wohnung mit Balkon sein eigen nennt, sich leckere Lebensmittel leisten und auch mal im eigenen Auto ins Grüne fahren kann, hat natürlich jedes Recht, über die Einschränkungen im Alltag frustriert zu sein. Aber könnte es nicht sein, dass der Blick über die eigene Lebenswelt hinaus den Frust zumindest lindert?
Wer über die genannten Privilegien verfügt, könnte sich und anderen einen großen Gefallen tun. Nicht, indem er oder sie mit einem wohligen „Mir geht’s ja noch gut“ in die Kissen sinkt. Sondern indem das Bewusstsein der Ungerechtigkeiten, die sich in Corona-Zeiten noch deutlicher zeigen, endlich zum Handeln anregt. Zumindest zum lauten, öffentlich hörbaren Reden.
Corona und Weihnachten: Es ist richtig, zu streiten
Zu reden wäre zum Beispiel darüber: Wer Hartz IV bezieht oder einen ohnehin schon geringen Lohn, leidet unter der Pandemie wesentlich stärker als Leute, die gutes Geld verdienen. Tafeln haben geschlossen, Kurzarbeit vermindert das ohnehin knappe Einkommen, Kinder bekamen in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen kein kostenloses Essen, von guter Ausstattung für digitalen Unterricht ganz zu schweigen. Zu reden wäre auch über Geflüchtete, die unter miesen Bedingungen zusammengepfercht leben, was sie dem Virus fast schutzlos aussetzt. Zu reden wäre über die neue Statistik, nach der die Einkommen der vielgepriesenen Beschäftigten im Lebensmittelhandel in diesem Jahr gesunken sind.
Zu reden wäre darüber, dass der Vorschlag, wenigstens Mehrkosten im Gesundheitswesen durch eine Verlängerung des Solidaritätszuschlags für die oberen zehn Prozent zu finanzieren, von der CDU sofort empört zurückgewiesen wurde. Zu reden wäre darüber, dass nicht das Virus ungerecht ist, sondern eine Politik, die Ungerechtigkeit seit Jahren duldet oder gar fördert.
Es ist richtig, darüber zu streiten, wie wir in Corona-Zeiten Weihnachten feiern. Aber gerade diejenigen, die es nicht ganz so schlimm trifft, könnten der Krise darüber hinaus einen Sinn abgewinnen. Er läge darin, für eine Welt zu kämpfen, in der Chancen und Risiken nicht so skandalös ungleich verteilt sind. Ob mit Corona oder ohne.
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LG
Renate
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