Donnerstag, 9. Januar 2020

Kinder brauchen die Mutter mindestens in den ersten drei Jahren oder länger

Das entspricht genau dem, was ich früher im Studium auch so gelernt habe

 Vorneweg möchte ich eine kleine Geschichte und ein bisschen Input über mich und meine Familie und meine Studienzeit ergänzen.

Ich selbst habe im Alter von 2 Jahren meinen Vater verloren, weil meine Eltern sich trennten, Ob ich dadurch einen Schaden erlitt, ist schwer zu sagen, ich würde selbst das nicht ausschließen, auch wenn mir die restlichen Bezugspersonen, nämlich Mama, Oma und Opa erhalten geblieben sind. Ich wuchs mit meiner Mutter bei ihren Eltern auf.

Meine Ehe hat nicht gehalten. Die Probleme, die ich später mit meinem Ehemann ein Leben lang hatte, sehe ich darin, dass wiederum seine Mutter, die mit 9 ihre eigene Mutter verlor, weil die starb und dann eine Stiefmutter bekam, die die eigenen Kinder vorzog, oft wegen ihrer großen psychischen Probleme monatelang in der geschlossenen Psychiatrie war und er dann wechselweise bei verschiedenen Tanten, dann wieder bei seiner Mutter und so weiter. Es wurde nie so diagnostiziert, weil mein Ex sich nie hat behandeln lassen, aber ich würde ihn als Borderliner mit allen dazu gehörenden Problemen einstufen.

Weil wir aufgrund seines selbstschädigenden Verhaltens, wo er ja immer die ganze Famillie mit reinriss, laufend extreme Geldsorgen hatten, blieben unsere vier Kinder bei meiner Mutter. Ich denke, das ging, denn meine Mutter und wir lebten zusammen, sie war ein fester Bestandteil der Familie, so dass ich denke, das war auf jeden Fall gut. So hatten meine Kinder immer eine feste Bezugsperson, auch wenn ich viel habe arbeiten müssen.

Später machte arbeiten für mich keinen Sinn mehr. Mein Ex hatte so viele Schulden gemacht, dass es für uns sogar finanzielle Nachteile brachte, dass ich gearbeitet habe. Meine Mutter wurde alt, meine Großen waren in der Pubertät und schwierig, mein Jüngster musste wegen spastischer Lähmungen umfassend beturnt werden, was meiner Mutter auch nicht wirklich gelang. Anders als mein Gehalt waren die Sozialhilfe, die meine Mama dann im Rentenalter bekan, Wohngeld und das nun wieder normal hohe Kindergeld, das während meiner Berufstätigkeit aufgrund eines zu hohen Gehalts gekürzt worden war alles keine pfändbaren Dinge. Außerdem brauchte ich kein Auto mehr, um zur Arbeit zu kommen.

Das machte es überhaupt möglich zu überleben damals. Hätte ich weiter gearbeitet, ich glaube, wir hätten spätestens nach der Zwangsversteigerung unseres Hauses aufgrund des Verhaltens meines Ex kaum überleben können .. und ich war da, um nun aufzupassen, dass er nicht noch mehr Schaden anrichtet.

Als die Kinder wiederum größer waren, habe ich dann eine Weile die Schulbank gedrückt, das Abitur nachgemacht, den NC für Psychologie und auch Sozialpädagogik geschafft, der unter 2 lag und so jeweils eine Weile Psychologie und Sozialpädagok studiert .. aber es war mir später mit der großen Familie doch zu viel.

Da habe ich aber genau das gelernt .... Kinder brauchen eine feste Bezugsperson. Wenn das die eigene Mutter sein kann, ist das am allerbesten.

Und das besser noch länger als bis 3 Jahre ... noch besser ist es, sie erst mit 5 in die Vorschule und dann in die Schule zu schicken und gar nicht früher in den Kindergarten, so habe ich das im Studium gelernt.

Meine Erfahrung mit meinen Kindern war die, dass die auch erst in diesem Alter wirklich freiwillig länger in der Nachbarschaft ohne mich oder Mama mit anderen Kindern spielen gingen.
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Und nun noch eine kleine andere Geschichte über meine älteste Tochter als Kleinkind.

Eine Cousine meiner Mama, die an der Westküste Schleswig-Holsteins zu Hause war, war gestorben. Natürlich kannten meine Kinder auch meine Schwiegereltern, aber wiederum natürlich nicht so gut wie sie meine Mutter, die ja bei uns wohnte, kannten. Schwiegereltern haben wir früher häufig, aber natürlich nicht immerzu besucht, halt sonntags oft und an Feiertagen und so weiter.

Wir hatten damals erst Vanessa, mein erstes Kind. Die war ungefähr 8 oder 9 Monate alt. Und eigentlich war sie ein ziemliches Fremdelkind.

Schwiegermama meinte, wir sollen ruhig zu dieser Beerdigung fahren, sie würde schon mit ihr fertigwerden.

Das war leider nicht so.

Wir waren einige Stunden weg, denn wir wohnten damals in Schellhorn bei Preetz in Schleswig-Holstein an der Ostküste Holsteins, die Beerdigung fand aber in der Nähe von Husum statt.

Als wir zurückkamen, hatte sich meine Tochter komplett zugeschrien. Schwiegermutter war mit den Nerven am Ende. Es war ihr nicht gelungen, unsere Tochter zu beruhigen, obwohl sie sie ja gut kannte.

Ich habe später keins meiner Kinder mehr stundenlang bei meiner Schwiegermutter gelassen, als sie klein waren. Sie konnte mit den Kindern spielen, wenn sie zu Besuch da war oder wir sie besucht haben, das musste reichen.

Vanessa war zeitlebens .. und es gab nur diesen einen Tag, wo sie diese panische Angst stundenlang hat aushalten müssen ... anders als ihre Geschwister, schwieriger, unsicher, weniger selbstbewusst, nicht durchsetzungsfähig und so weiter.

Es könnte damit zusammenhängen, dass sie sich so entwickelt hat, dass wir sie nur an diesem einen Tag mit einer für sie eben doch zu fremden Person alleine gelassen haben.

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Inzwischen lebt meine Mutter nicht mehr. Ich habe kaum Kontakt zu unseren Kindern, ich bin nicht wichtig für sie. Ich liebe meine Kinder, aber denke, die enge Bindung hatten sie eben an die Frau, denen ich sie als Babys überlassen habe, meine Mama.

Ich würde mir das im Nachhinein betrachtet, nicht nochmal antun, denn es ist schwer, wenn man Kinder hat, die man über alles liebt und kaum miterleben kann, wie es ihnen als Erwachsenen geht, weil sie allenfalls einen ganz losen Kontakt zulassen.
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Ich finde diesen Text so wichtig, dass ich den einfach mal komplett auch in unseren Blog übernehme und hoffe, man nimmt mir das nicht übel. Wo man das Buch kaufen kann und so weiter, findet Ihr über den Link unten zusätzlich.


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Sehnsucht kleiner Kinder Fremdbetreuung: Wie kleine Kinder unter der Trennung von den Eltern leiden Aktualisiert am 07.01.2020 | 14:41

 Wie geht es Kleinkindern in Kitas und Krippen wirklich? Die Frage wird kontrovers diskutiert. Hanne K. Götze, Autorin des Buchs "Die Sehnsucht kleiner Kinder", erklärt anhand von wissenschaftlichen Fakten in diesem Gastkommentar, warum sie eine frühe Fremdbetreuung von Kindern für gefährlich hält.


Spätestens ein Jahr nach der Geburt eines Kindes haben die meisten Eltern in Deutschland eine schwere Entscheidung zu treffen: Wollen wir unser Kind in einer Krippe fremdbetreuen lassen? Oder erziehen wir es lieber selbst?
Manchen Eltern bleibt aus finanziellen Gründen gar keine Wahl, sie sind auf zwei Gehälter angewiesen. Andere entscheiden sich für die Fremdbetreuung, weil sie glauben, dass ihr Kind von den frühen sozialen Kontakten in der Kita profitieren würde.

 Doch wie geht es kleinen Kindern mit der Trennung von ihren Eltern wirklich? Hanne K. Götze, Autorin des Buchs "Die Sehnsucht kleiner Kinder", erklärt anhand von wissenschaftlichen Fakten sowie eigenen Erfahrungen, wie sie zu der Überzeugung gelangte, dass Kinder unter drei Jahren, die außerhalb der Familie fremdbetreut werden, sehr stark leiden. Dieser Gastkommentar ist ein Auszug aus ihrem Buch:


Es gibt viele innere und äußere Gründe, die Eltern daran hindern, mit ihren Kleinkindern in der spürbaren Nähe zu leben, die für eine gesunde Entwicklung der Kinder so entscheidend ist.
Einerseits hat sich in den letzten Jahren einiges Positives getan, damit eine gute Mutter-Kind-Beziehung entstehen kann, etwa bei der Betreuung rund um die Geburt und hinsichtlich der Stillförderung (z. B. zertifizierte „Babyfreundliche Kliniken“). Andererseits herrscht ein gesellschaftliches Klima vor, das ganz andere Erwartungen an Mütter hat als ihre Kinder.
Die Mutterliebe und das Da-Sein werden kleingeredet, ja für unnötig bis schädlich gehalten, hält man dadurch doch sein Kind von der vermeintlichen „Bildung“ in der Krippe fern. Eine lückenlose Erwerbstätigkeit der Mütter – und damit beider Elternteile – ist zum Ideal erklärt worden. Die finanzielle Lage von Familien wird zudem immer schwieriger. (Dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, werden wir noch sehen.)
Infolge dieses Klimas wird die Mehrheit der Kleinkinder in den neuen Bundesländern meist in Einrichtungen betreut, und zwar schon seit zwei bis drei Generationen. Im Westen werden es immer mehr. Die Frage ist nun: Kann in einer Krippe die Sehnsucht kleiner Kinder, die ihnen instinktiv eingegeben ist, gestillt werden?


Die Reaktion der Mutter

Die meisten Kinder schreien, wenn die Mutter (oder ggf. eine andere Primärbindungsperson) geht – zumindest in der Fremdelphase etwa ab dem 8. Monat. Wenn die Mutter geht oder nicht mehr sichtbar ist, heißt das für das Empfinden des Kindes, dass seine Mama weg ist – unwiederbringlich und bis in alle Ewigkeit. Bei meinen Vorträgen zeige ich gern einen kurzen Film, nämlich das „Still- face experiment“, das der Kinderpsychologe Edward Tronick an der Harvard University in Cambridge durchgeführt hat:
Was ist zu sehen? Zunächst ist die Mama dem kleinen Kind (schätzungsweise etwa zehn bis zwölf Monate alt) im vertrauten Zwiegespräch zugewandt. Dann dreht sie sich abrupt weg, um sich anschließend wieder dem Kind zuzuwenden. Ihr Gesicht jedoch bleibt stumm und völlig unbewegt. Das Kind wendet dann alles in seiner Macht Stehende auf, damit die Mama wieder reagiert. Es beugt sich nach vorn, streckt seine Ärmchen aus, zeigt auf etwas, quietscht laut. Als alles umsonst ist, schreit es herzzerreißend. Das alles dauert insgesamt kaum zwei Minuten. Dann hält es auch die Mama nicht mehr aus, sie tröstet ihr Kind – und es lächelt wieder, noch unter Tränen.
Tief berührend bekommen wir hier vor Augen geführt, dass das Nichtreagieren der Mutter offenbar das Gleiche bedeutet wie Abwesenheit. Emotionale Abwesenheit (innere Distanz) ist also das Gleiche wie räumliche Abwesenheit (äußere Distanz bzw. Trennung). Beides kann eine unsichere Bindung mit allen ihren möglichen Folgen verursachen.
Das erscheint mir wichtig für Diskussionen um Krippenbetreuung, denn oft heißt es, dass es ja auch nicht gut sein könne, wenn die Mama zwar anwesend sei, aber andauernd nur auf ihr Handy starre. Natürlich ist auch das nicht gut, weil die Mutter emotional nicht anwesend ist. Wenn die Mama räumlich und emotional anwesend ist, dann fühlt sich für ein Kind das Leben richtig an; wenn sie jedoch abwesend ist, fühlt sich sein Leben total falsch an.


Meine eigene Kita-Erfahrung

Wenn die Mama fort ist, springt im Kind der Überlebensinstinkt „Bindung“ auf Alarmstufe Rot: Die Mama, die ich liebe und die mich liebevoll umsorgt, ist weg! Die Abwesenheit der Mutter löst Existenzangst aus. Das kann ich aus eigenem schmerzlichen Erleben bestätigen, denn ich erinnere mich an meine eigene kurze Krippenzeit ab 2 1⁄4 Jahren. In meinem Buch „Kinder brauchen Mütter“ habe ich meine Erinnerungsbilder im Einzelnen beschrieben, hier deshalb nur so viel: Wenn meine Mutter mich verließ, schrie ich bis zur Erschöpfung.
Es war für mich wie ein Sturz ins Bodenlose; ich kam mir vor, als hinge ich über einem Abgrund, um jeden Augenblick losgelassen zu werden. Ein Gefühl großer Verlorenheit erfasste mich. Meine Welt stimmte nicht mehr. Es war für mich wie die Vertreibung aus dem Paradies. Während ich vor dem Krippeneintritt nie krank wurde, war ich dann eine Woche dort und anschließend vier Wochen krank.
Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar dafür, dass sie das nach kurzer Zeit beendeten, trotz des sozialistischen Systems samt entsprechenden Anfeindungen aus Nachbarschaft und Kollegenkreis sowie finanziellen Engpässen. Meine Mutter empfand diese Zeit als eine der schwärzesten ihres Lebens, und wir waren beide froh, schließlich wieder zusammen sein zu können. Mir hat dieses Erlebnis eine schwere Wunde geschlagen, die lange brauchte, um zu verheilen.
Die Neigung zu asthmatischer Bronchitis hat sich bis heute erhalten. Seelische Narbenschmerzen spüre ich auch heute noch, wenn diese Wunde berührt wird – wenn ich miterlebe, wie Kinder abgegeben werden und nach ihrer Mama schreien, wenn Politiker von „Bildung in der Krippe“ schwärmen ...
Jahrelang hoffte ich, dass andere ihre Krippenzeit nicht so empfunden hätten bzw. empfänden wie ich. Doch als ich selbst Kinder hatte, begann ich, daran zu zweifeln, und fand das auch durch Untersuchungsergebnisse bestätigt. Der Hauptstress eines betreuten Kindes unter drei Jahren ist nachweislich die Trennungssituation. Aber warum ist das so?


Warum Kinder unter der Trennung von den Eltern leiden

Die frühe Kindheit ist das Zeitfenster für die sichere Bindung. Die Kinder spüren, dass sie jemanden brauchen, der sie elementar versorgt, und wollen sich dieser Person sicher sein. Sie haben weder für Raum noch für Zeit ein ausreichendes Gefühl. Ihre räumliche Erfahrung entspricht zunächst nur ihrem noch kleinen Aktionsradius, also den wenigen Schrittchen, die sie bis dahin eventuell schon gehen können, bzw. der Reichweite, innerhalb derer sie sehen und hören können.
Die Kinder begreifen weder, wohin die Mutter geht, noch, wie lange es bis zu ihrer Rückkehr dauert. Ihr Lebensgefühl besteht aus dem Augenblick. Deshalb können sie es weder geistig noch seelisch erfassen, wenn die Mama sagt, sie komme „gleich“ oder in ein paar Stunden wieder. Noch viel weniger können sie nachvollziehen, warum sie geht. Sie kennen schließlich die komplizierte Welt der Erwachsenen noch nicht.
Die Kinder empfinden das Weg-Sein der Mutter als einen endgültigen, ewigen Fakt. Sie haben Liebeskummer, denn ihre erste große Liebe hat sie verlassen. Sie trauern. Es ist wie ein Warten ohne Hoffnung auf ein Ende. Wenn man die Kleinen etwa beim Spazierengehen in den Krippenwagen sitzen sieht, wirken sie oft erschöpft und an ihrer Umgebung desinteressiert. Strahlende Kindergesichter sucht man vergebens. Auf Zeitungsfotos lächeln nur die Erzieherinnen in die Kamera.
Eine Frühpädagogin aus Sachsen-Anhalt, die beruflich tagtäglich in Kitas unterwegs ist, schrieb mir kürzlich Folgendes in einem Brief: „Die vermeintlich frühe Sozialisation der so jungen Kinder ist von Schreien und Weinen begleitet, von merklicher Apathie, teils extremen Ängsten gegenüber Fremden und durch spürbare Teilnahmslosigkeit [...]. Eine beobachtbare, deutlich hervortretende Trauersituation [...].


Manche Kinder sitzen wie Klammeräffchen auf dem Schoß der Erzieherin und weinen stundenlang vor sich hin. Es bietet sich ein Bild des Elends und der Verlassenheit.“ Schönes Spielzeug und eine gute Ausbildung der Erzieherinnen ändern nichts am Trennungsschmerz. Diesem liegt zugrunde, dass das Kind sein inneres Bild von der Mutter noch nicht stabil im Gedächtnis aufrechterhalten kann, wenn sie fort ist. Verbleibt ein Kind in dieser Trennungssituation, spricht man von einer Deprivation, deren Folgerisiken umso stärker ausfallen, je länger die Trennung bzw. ein bindungsarmer Zustand anhält.

Stressfaktoren in der Kita

Neben der Trennungssituation gibt es in der Krippe noch weitere Stressfaktoren: Da ist zunächst die Erzieherin (selbst wenn sie freundlich zugewandt ist), weil sie fremd ist. Da sind die vielen anderen Kinder. Ohne die Mama oder den Papa im Rücken ist diese Situation für das Kind unübersichtlich und orientierungslos. Hinzu kommt der damit verbundene Lärmpegel – eine finnische Studie von 2008 ergab, dass allein schon zwischen 67–71 Dezibel und 84–87 Dezibel die Gehirnentwicklung beeinträchtigen können.
Zudem gibt es in Deutschland keinen bundesweit verbindlichen Betreuungsschlüssel, der festlegt, wie viele Kleinkinder auf eine Erzieherin kommen dürfen. Während Experten etwa drei (allerhöchstens fünf) Kinder pro Erzieherin für verantwortbar halten, liegt der bundesweite Durchschnitt wohl beim Drei- bis Vierfachen davon. Der menschlichen Natur entspricht es, nicht mehr als Zwillingskinder zu haben. Und jeder weiß, dass das bereits eine Herausforderung ist. Laut NUBBEK-Studie von 2013 können nur 3 % der Krippen in Deutschland diese Qualität der Betreuung sicherstellen; mehr als die Hälfte muss als unzureichend bezeichnet werden.


Dazu kommt als weiterer Stressfaktor ein häufiger Erzieherwechsel aufgrund von Krankheit, Urlaub und Schichtdienst der Erzieherinnen. Es bleibe weder Zeit noch Kraft für die Einfühlung, schrieb eine Erzieherin auf der Internet-Plattform fuerkinder.org: Die meisten Einrichtungen würden weit hinter dem zurückbleiben, was sie in ihren Hochglanzprospekten versprechen. Wenn die Eltern wüssten, was vielfach wirklich los sei, würden sie entsetzt sein. Viele Erzieherinnen hielten diese Belastung nicht lange durch – die Situation führe auch zu Misshandlungsfällen.
Einen tiefen und erschütternden Einblick in die Lage von Krippenkindern bieten die von dem Psychiater Serge Sulz gesammelten und veröffentlichten Berichte von Müttern: wie sie die Wesensveränderungen und das Weinen der Kleinen wahrnahmen, wie sie dennoch auf die Erzieherinnen hörten, die ihnen sagten, dass das normal sei und vergehen würde, wie ihnen während der Eingewöhnungsphase ihres Kindes auch die Not anderer Kinder auffiel und dass sie oft nur durch Zufall erfuhren, wie es ihren Kindern wirklich ging.
Sie beschreiben das Ringen mit ihrem Gefühl, dass dies alles wohl so nicht richtig sein könne, und den Erwartungen unseres gesellschaftlichen Klimas, ehe sie genug Kraft dazu hatten, ihr Kind wieder zu sich nach Hause zu holen und den Beruf noch einmal zurückzustellen.

Kita: Nur 8 Minuten Zeit pro Tag für jedes Kind

Folgendes bedenkliches Vorkommnis berichtete mir eine ältere Dame aus einer mittelgroßen Stadt in Thüringen: Sie habe im Supermarkt an der Kasse gestanden, um zu bezahlen. Da sei eine Krippenerzieherin mit einem Wagen hereingekommen, in dem sechs Kinder zwischen einem und eineinhalb Jahren saßen. Diese habe den Wagen mit den Kindern einfach unbeaufsichtigt am Eingang abgestellt und sei dann für längere Zeit mit ihrem Einkaufskorb zwischen den Regalen verschwunden.


Daraufhin sei die ältere Dame selbst hinübergegangen, um auf die Kinder aufzupassen. Sie sei fassungslos über dieses Verhalten gewesen, aber auch darüber, dass die Kinder allesamt so still und teilnahmslos im Wagen sitzengeblieben seien. Das war sicher ein seltener und grober Fall von Verantwortungslosigkeit. Aber auch der kann vorkommen, ebenso wie elterliches Versagen.
Laut einer Studie des britischen Innenministeriums gibt es an einem durchschnittlichen Krippentag nur acht Minuten persönliche Zuwendung pro Kind. Erzieherinnen haben meist nicht nur zu viele Kinder zu betreuen, es sind eben auch nicht ihre eigenen. Sie haben nicht die exklusive innere Kompetenz für das individuelle Kind, die eine Mutter durch ihre Bindung hat bzw. erlangen kann. Auch ist ihr Hormonhaushalt nicht darauf eingestellt. Ihr Verhältnis zu den Kindern ist ein Dienstverhältnis, das nach Feierabend endet.
Die Krippenforscherin Lieselotte Ahnert sieht bei ihnen ein gruppenorientiertes Betreuungsverhalten, während eine Mutter individuell auf ihre Kinder eingeht. Eine „Bindungssicherheit zu einer Erzieherin [werde] wahrscheinlich weniger entwickelt als zu den Eltern“. Bei Mutter und Kind spielt schon von Anfang an mit hinein, dass die Beziehung eine elementare und lebenslange ist.
Zusätzlich müssen die Kinder mit Krippeneintritt ihren individuellen Lebens- und Bedürfnisrhythmus an die Abläufe in der Einrichtung sowie an die Arbeitszeiten der Eltern anpassen. Letztere richten sich jedoch vorwiegend nach den Wirtschaftsinteressen der jeweiligen Unternehmen, in denen diese arbeiten, nicht nach den Bedürfnissen der Kinder.


ErzieherInnen verzweifeln an den Bedingungen

Eine Krippenerzieherin aus Mecklenburg-Vorpommern beschreibt folgende besonders intensive Stresssituationen als typisch für ihren Berufsalltag: „Zum Beispiel das An- und Ausziehen, wenn man mit ihnen ins Freie gehen will: Viele Kinder auf engem Raum: die einen schwitzen schon, die anderen sind noch nicht angezogen. Weiter sind die Mittagszeiten mit Essen bzw. Füttern sowie Fertigmachen zum Schlafenlegen ganz schlimm: alle sind müde, viele schreien, die Nuckel werden weggenommen, Kuscheltücher werden weggenommen, weil sie z. B. nicht an den Mittagstisch gehören.
Das Schlafengehen kann nicht individuell gestaltet werden. Wird ein Kind zu früh wach – kriegen die anderen nicht genug Schlaf. Am Nachmittag löst sich dann die Gruppe auf, weil einige Kinder abgeholt werden. Die Kinder, die länger bleiben müssen, kommen mit den anderen Kindern der Einrichtung in den Spätdienst: d. h. wieder neue Kinder – wieder eine neue Erzieherin. Ab einer gewissen Zeit, ca. ab 16.00 Uhr, stehen die Kinder z. B. am Zaun und warten nur noch oder weinen schon nach der Mama.“
Diese Erzieherin hat ihren Beruf schließlich aufgegeben, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, dass die ihr anvertrauten Kinder trotz größter Mühe litten und sie ihnen selbst durch erhöhten Zeitaufwand dennoch nicht das schenken konnte, was sie wirklich brauchten: ihre Mama.
Doch Erzieherinnen stehen nicht nur wegen des Personalmangels unter Druck. Eine einfühlsame und bindungsorientierte Art ist häufig gar nicht erwünscht – bei manchen Kolleginnen nicht, aber offensichtlich auch grundsätzlich nicht. In einem unter Pseudonym veröffentlichten Artikel wird folgende persönliche Erfahrung weitergegeben: Im Bundesland der Autorin gebe es Hospitationen von sozialpädagogischen Expertinnen in Krippen, die die erzieherische Wunschvorstellung der Landesregierung verträten. Eine solche habe eine wunderbare Erzieherin folgendermaßen beurteilt:
Sie sei ein herzensguter Mensch, „[a]ber gerade solche Menschen wie Sie brauchen wir in den Krippen nicht. Das behindert die Kinder in ihrer Exploration [Erkenntnisgewinn, Anm. d. A.] und wirft sie zurück.“ „Das Ziel der Expertin ist keinesfalls das gut mit Bindung und Nahrung versorgte Kleinstkind. Im Gegenteil, es sollte immer ein wenig schlecht versorgt sein, damit es den Anreiz hat, sich weiterzuentwickeln.“ Also Förderung von Entwicklung „aus einer distanzierten Haltung und bindungsmäßigen Zurückhaltung“ heraus, schlussfolgert diese Autorin. Distanz als pädagogisches Prinzip! Die sozialistische Pädagogik lässt grüßen.


Was ein Kita-Tag für ein Kleinkind bedeutet

Ich möchte noch einmal zusammenfassen, was das alles für ein kleines Kind heißt: Es muss jeden Tag aufs Neue mit der Trennung fertigwerden. Jedes Unwohlsein, jedes „Böckchen“, jedes Aua, jeder Kummer wegen eines weggenommenen Spielzeugs usw. muss immer vor „Publikum“ und sozusagen bei fremden Leuten durchgestanden werden. Die Signale, die es aussendet, werden kaum wahrgenommen oder verstanden. Die Mama ist nicht da. Und die Erzieherin, an die es sich möglicherweise langsam gewöhnt hat, ist auch nicht immer da.
Außerdem gibt es noch so viele kleine Konkurrenten um ein wenig Zuwendung. Das ist Stress pur: Die Kinder müssen sich den ganzen Tag lang auf einer höheren emotionalen Reifestufe bewegen, als sie tatsächlich sind.
So ist es kein Wunder, dass sich die Kinder in der Trennungssituation anders verhalten als im vertrauten Bindungszusammenhang. Ihr Spielverhalten verändert sich. Der Prager Forscher Zdeněk Matějček stellte bereits in den 1970er-Jahren fest: Das Spiel wird inhaltsärmer, stereotyper und weniger ausdauernd.xxi Manche Kinder reagieren auch mit verstärkter Aggressivität oder mit innerem Rückzug. Eine finnische Studie von 1979 ergab: Isolation/Rückzug treten bei 54 %, Unruhe bei 66 %, Hyperaktivität bei 21 %, Zorn bei 34 %, Schlaf- und Essstörungen bei 31–56 % der Kinder auf.
Einmal beobachtete ich eine Gruppe von 15 etwa Zweijährigen, die mit ihren beiden Erzieherinnen alle still und artig spazieren gingen. Keines tanzte aus der Reihe, keines lief davon, weil es etwas Interessantes gesehen hatte, noch regte sich überhaupt eines von ihnen. Was für ein Erziehungserfolg, mag man denken. Aber der Schein trügt: Wenn so kleine Kinder sich wohlfühlen, sind sie im Allgemeinen kaum zu halten. Da hat man mit einem einzigen schon genug zu tun, geschweige denn mit fünfzehn!


Diese Artigkeit und Angepasstheit zeugen eher von Stress und Resignation, denn dadurch haben die Kinder weniger Lust darauf, die Welt zu erkunden. Außerdem fehlen ihnen Mama oder Papa, die die positiven Gefühle beim Erforschen der Umgebung spiegeln. Die Familientherapeutin Erika Butzmann kommentierte zum Beispiel den Film „Krippenkinder“ der Deutschen Liga für das Kind von 2011 folgendermaßen:
Die Kinder lachen nicht, aber sie funktionieren. Sie räumen zum Beispiel den Tisch ab und waschen das Geschirr ab. Aber ohne Freude am Tun wird die Erfahrung als Lerninhalt nicht gespeichert, so die Ergebnisse der Hirnforschung.“
Dennoch wird überall die schnelle Selbstständigkeit der Kinder gerühmt; man lobt die Krippe als Bildungseinrichtung, obwohl bei Kleinkindern die Bildung – sprich: das Lernen – noch direkt an das Glücksempfinden im sicheren Bindungszusammenhang gekoppelt ist. Dieses Glück kann aber eine Krippe selbst bei größter Mühe nicht erzeugen.

Kita-Kinder sind häufiger krank

Eine weitere Reaktion der betreuten Kinder unter drei Jahren auf die Stressbelastung ist ihre Flucht in die Krankheit. Ein Blick in die Wartezimmer der Kinderarztpraxen zeigt massenhaft Infekte der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes und des HNO-Bereiches. Ende der 1980er-Jahre – also noch zu Zeiten der DDR – ergab eine Studie, dass ein Krippenkind an durchschnittlich 70 Arbeitstagen krank war. Sie kam sofort als „VD“ ( „Vertrauliche Dienstsache“) unter Verschluss, damit die Ergebnisse nicht öffentlich wurden.
So referierte es der Kinderarzt Manfred Kalz auf dem Internationalen Familienkongress in Dresden 1991. Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie der Kinderärztin und Soziologin Eva Schmidt-Kolmer an 6000 Krippenkindern zwischen 1971 und 1973, nämlich „ein erhöhtes Auftreten von Infektionen, insbesondere spastische Bronchitiden und Mittelohrentzündungen“.


Studien, die Anfang der 1990er-Jahre von den Forschern René Spitz, László Velkye und Jiří Dunovský durchgeführt wurden, haben belegt: Epidemische, also ansteckende Erkrankungen treten bei 83 % der Krippenkinder gegenüber 5 % der häuslich betreuten Kinder auf.
Eine umfassende aktuelle Studie gibt es nicht, lediglich Einzeluntersuchungen:Bei Krippenkindern wurde
 für Magen-Darm-Infekte ein um 50–400 % erhöhtes Risiko festgestellt,
 für Neurodermitis ein um 50 % höheres Risiko.
Den Krippenkindern geht sozusagen „die Luft aus“, es geht ihnen „dünn durch den Darm“, „es schlägt ihnen „das Herz bis zum Halse“, sie fühlen sich „nicht wohl in ihrer Haut“. Im Verlauf der „Wiener Krippenstudie“ (2007–2012)xxx kam man u. a. zu folgendem Ergebnis: „Je jünger ein Kind sei, desto empfindlicher reagiere es auf Stress. Auch ein Kind, das sich sicher an seine Erzieherin gebunden fühlt, bliebe davon nicht verschont.“ Besonders ungünstig verlaufe die Stressreaktion im Alter von unter 25 Monaten.

Der Stress der Kinder

Wie nun kann man feststellen, ob ein Krippenkind unter Stress steht? Denn äußerlich lässt sich das nicht immer erkennen. Stress ist objektiv feststellbar, indem man den Spiegel des Stresshormons Cortisol im Speichel misst. Bereits 1998 wurde dieser im Zuge der Day-Care-Cortisolstudien in den USA untersucht. Dabei kam heraus, dass selbst bei höchster Betreuungsqualität bei 75 %, bei „nur“ gehobener Qualität sogar bei fast 100 % der unter drei Jahre alten Kinder die Cortisolwerte erhöht waren. Diese Ergebnisse wurden 2006 durch die Metaanalyse von neun Studien der Wissenschaftler Vermeer und van IJzendoorn bestätigt.


Man fand heraus, dass die Krippenbetreuung für die Mehrheit der Kinder einer Strapaze gleicht. Sie weisen eine chronisch zu hohe Stressbelastung auf, sogenannten toxischen (giftigen) Stress auf, wie er etwa auch bei Spitzenmanagern zu finden ist. Dabei finden sich bei ruhigen, unauffälligen, scheinbar gut eingewöhnten Kindern oft besonders hohe Stresswerte. Wenn also gesagt wird, das Kind habe sich nach anfänglichem Schreien beruhigt und nun in der Krippe gut eingewöhnt, weiß man nicht, wie es dem Kind wirklich geht. Das lässt sich nur erahnen, wenn man seine Cortisolwerte misst.
Aufgrund dieser Ergebnisse nahm man an, dass allein die dauerhaft erhöhte Einwirkung des Cortisolspiegels „zu einer Immunschwächung, gesundheitlichen Schäden, einer Herabsetzung von Intelligenz- und Gedächtnisleistung, vermehrter Angst sowie zu anderen irreversiblen Schäden führen“ könne. Erhöhte Cortisolspiegel verringern außerdem die Freisetzung des sekretorischen Immunglobulin A an den Schleimhäuten, wodurch die Abwehrbereitschaft abgesenkt wird und sich die hohe Infektanfälligkeit der Krippenkinder erklärt.
Im Zuge der „Wiener Krippenstudie“ stellte sich aber auch heraus, dass es bei anhaltendem Stress nach ungefähr fünf Monaten zu einer Abflachung der Cortisolkurve kommt – leider nicht zurück auf das normale Niveau, sondern sogar noch unter das normale Niveau: „Das Stressregulationssystem geht sozusagen unter dem Stress-Trommelfeuer in die Knie“, wie es der Kinderneurologe Rainer Böhm ausdrückt. Die Kräfte des kindlichen Körpers werden erschöpft, ähnlich dem Burn-out bei Erwachsenen.
Und Böhm schreibt weiter, dass die stark abgeflachten Cortisolspiegel vergleichbar mit den Werten seien, „die in den neunziger Jahren bei den zweijährigen Kindern in rumänischen Waisenhäusern gemessen wurden.“ Dieser Zustand ist seiner Einschätzung zufolge im Hinblick auf mögliche Folgen als ebenso risikoreich einzuschätzen wie der eines erhöhten Cortisolspiegels.


Langzeitfolgen zu hoher Stressbelastung

Die Langzeitfolgen einer zu hohen frühen Stressbelastung wurden im Rahmen der NICHD-Studie untersucht, einer amerikanischen multivariaten Langzeitstudie des National Institut of Child Health and Development an 1300 Kindern im Zeitraum von 1991 bis 2016 unter Beteiligung von zehn Universitäten. Diese Studie kam zu folgenden Ergebnissen:
Die Krippenbetreuung wirkt sich unabhängig von allen anderen Faktoren, die ein Kinderleben beeinflussen können, negativ auf die sozio-emotionale Kompetenz aus. Je früher und je länger Kleinkinder in Kindereinrichtungen betreut wurden, desto stärker zeigten sie später „dissoziales“ Verhalten wie Schikanieren, Lügen, Gemeinheiten, Sachbeschädigungen, Aggressivität usw. Die Verhaltensauffälligkeiten lagen zwar im moderaten Bereich, aber ein Viertel der ganztags betreuten Kleinkinder zeigte bereits im Alter von vier Jahren ein Problemverhalten, das dem klinischen Risikobereich zugeordnet werden musste.
Später konnten bei den inzwischen 15 Jahre alten Jugendlichen signifikante Auffälligkeiten festgestellt werden, u. a. Probleme mit Alkohol, Drogen, Diebstahl usw. „Nicht zu verschweigen ist ferner ein erhöhtes Risiko für spätere seelische Erkrankungen. [...] Durch nichts zu belegen ist dagegen die Hoffnung auf Förderung des Sozialverhaltens, [...]. Eine signifikante, moderate Förderung der Lernleistungen kann nur bei hoher Betreuungsqualität [im Gegensatz zu niedriger Einrichtungsqualität, Anm. d. A.] erwartet werden“, welche jedoch in der fünften Klasse nicht mehr bestand.
Dieser Effekt trat „nach jeder, auch nach hochqualitativer Gruppenbetreuung“ ein, und zwar unabhängig vom Familienhintergrund und bereits bei zehn Betreuungsstunden pro Woche. Ein von den Initiatoren völlig unerwartetes Ergebnis, wollte doch die Studie die Unbedenklichkeit der Betreuung im Alter von unter drei Jahren beweisen. Das konnte bislang keine seriöse Studie!


Die gleichfalls multivariate Studie von Margit Averdijk (Institut für Soziologie der ETH Zürich) an 1000 Kindern 2011 bestätigte die problematischen Ergebnisse der NICHD-Studie, welche bei Gruppenbetreuung unter drei Jahren sogar stärker seien als bei Fällen von Alleinerziehung, Scheidung und Armut. Es zeigte sich ferner ein Zusammenhang zwischen der Dauer des Krippenbesuchs „nicht nur mit aggressivem Verhalten und ADHS, sondern auch mit ängstlich depressiven Zügen bei den Siebenjährigen“.

Hohe Qualität der Krippe reicht nicht aus

Im Rahmen der NICHD-Studie untersuchte man bei den 15-jährigen Teilnehmern außerdem den morgendlichen Cortisolspiegel*, welcher die generelle Stressverarbeitungsfähigkeit anzeigt: „Zwei Gruppen wiesen signifikant niedrigere Werte in gleichstarker Ausprägung auf, zum einen Probanden, die im Kindesalter emotional vernachlässigt wurden [...], zum anderen die Jugendlichen, die in ihren ersten 3 Lebensjahren Gruppenbetreuung in substanziellem Umfang erlebten, [...] unabhängig von der Qualität der Betreuungseinrichtung. Die negativen Effekte von emotionaler Vernachlässigung und Krippenbetreuung waren additiv wirksam, die Tagesbetreuung konnte also ungünstige Einflüsse des familiären Umfeldes nicht kompensieren oder abschwächen.“l (Hervorh. d. A.)
Das heißt: Selbst bei bester Betreuungsqualität geht die Mehrheit der Kinder mit dem Risiko einer schlechteren Stressbewältigungsfähigkeit ins Leben. Eine Verbesserung der Chancen von Kindern mit sozial schwierigem Hintergrund ist nicht gegeben. Ihre seelischen Risiken steigen. Auch diesen Kindern hilft eine Krippe also wenig.


Der renommierte kanadische Neurobiologe Michael Meaney konnte in Untersuchungen mit Ratten gleichfalls Folgendes belegen: „Je intensiver die mütterliche Brutpflege, desto [...] weniger empfindlich reagieren die Kinder im späteren Leben auf Stress. Und umgekehrt.“ Auch hier wurden Cortisolmessungen durchgeführt, die nicht nur ergaben, dass die Verarbeitung von Stress und Belastungen langfristig beeinträchtigt werden kann, sondern auch, dass sich der Mangel an Mütterlichkeit über solche Stoffe bis tief hinein in das Erbgut hinein – niederschlägt, in epigenetische* Mechanismen, die sogar an die nächste Generation weitervererbt werden können.
Meaney ist der Meinung, dass diese Ergebnisse auch auf den Menschen anwendbar seien. Er schließt daraus unter anderem, dass z. B. für Kinder aus schwierigen Verhältnissen „jene Hilfen am effektivsten [seien], die vor allem den Eltern helfen, mehr Verständnis, Geduld und Umsicht bei der Erziehung ihrer Kinder walten zu lassen.“ (Hervorheb. d. A.)
Die Bindungsforscherin Karin Grossman schlussfolgerte bereits 1999: „Aus der Sicht der Bindungstheorie muss man die ganztägige Betreuung von Kindern unter drei Jahren in Gruppen mit größter Skepsis sehen.“
Gordon Neufeld schreibt, die vorzeitige Trennung – also dann, wenn ein Kind noch nicht dazu in der Lage sei, das Gefühl der Bindung eigenständig aufrechtzuerhalten – sei eines der am schwersten wiegenden seelischen Traumata, deren Folgen u. a. eine seelische Verhärtung sei: Der Mensch gestattet sich keine Gefühle mehr, um nie wieder so verletzt werden zu können.


Böhm: Hohe Stressbelastung ist Misshandlung

Der Kinderneurologe Rainer Böhm schätzte 2012 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ angesichts der Stressforschung: „Chronische Stressbelastung ist im Kindesalter die biologische Signatur der Misshandlung. Kleinkinder dauerhaftem Stress auszusetzen, ist unethisch, verstößt gegen Menschenrecht, macht akut und chronisch krank.
Dieses Wissen hindert die Bundesregierung und Wirtschaftsverbände nicht daran, die Erhöhung der außerfamiliären Betreuungsplätze zum Ausweis moderner Familienpolitik zu machen.“ Er machte weiter deutlich, dass die Eltern der ausschlaggebende Faktor für das Gedeihen und die Gesundheit ihrer Kinder sind. Nur wenige Fachleute haben heute den Mut, sich so klar zu äußern.
Hier sei auch noch ein weiteres Mal an das Bindungshormon Oxytocin erinnert. Sind die Eltern anwesend, wird es im Kind freigesetzt und hemmt die Ausschüttung schädlicher Stresshormone. Wenn die Eltern jedoch fort sind, fällt die Oxytocinberuhigung weg – und gleichzeitig wird die Stressregulation überlastet.
Und mehr noch: Oxytocin bewirkt tiefes Vertrauen und ein offenes, liebendes und warmes Herz gegenüber der Bindungsperson. Wie muss es auf das Kind wirken, wenn die liebe Mama, von der es bisher gestillt wurde und die immer da war, die einfach seine Welt ist, es auf einmal verlässt? Insbesondere für Kinder, die bis zu ihrem Krippeneintritt viel mütterliche Empathie erlebt haben, ist das hart – traumatisch, wie Neufeld es klar benannte.


Für Kinder, die zu diesem Zeitpunkt bereits unsicher gebunden sind, verschärft sich die Lage noch. Und das kann bedeuten: Das Vertrauen des Kindes zu den Eltern und damit zur Welt an sich wird mindestens beschädigt. Wenn die Kleinen morgens nicht mehr schreien, oder wenn sie beim Abholen am Nachmittag einfach weiterspielen wollen oder sich abwenden, meinen manche Eltern, sie hätten sich erfolgreich eingewöhnt.
Bowlby beobachtete jedoch bereits Anfang der 1960er-Jahre bei Kindern in Trennung zunächst Protest, dann Verzweiflung und letztendlich Gleichgültigkeit oder gar Feindseligkeit gegenüber der Mutter. Er stellte ferner fest, dass, wenn unter ggf. günstigen Bedingungen die Betreuung unter drei Jahren kein Trauma für das Kind bedeutet, das noch lange nicht heißen muss, dass sie ohne negative Folgen für es bleibt.

Bitte bleibt bei euren Kindern

Weil das aber alles in allem so ist, möchte ich alle jungen Eltern ermutigen, ja geradezu bitten, ihrem Kind ihre liebevolle Nähe zu schenken und so lange wie möglich bei ihm zu bleiben. Ich möchte sie ermutigen und bitten, die Seele ihres Kindes vor einem System der verfrühten Trennung zu schützen. Wäre es nicht gut und auch für uns als Eltern wohltuend, liebevoll abzuwarten, bis unser Kind die innere Reife erlangt hat, eine zeitweilige Trennung von uns zu verkraften?


Ich möchte dazu ermutigen, alle verfügbaren Hilfen auszuschöpfen. Von der Politik muss jedoch gefordert werden, dass sie ihren Kurs ändert und bindungsfreundlichere Rahmenbedingungen für junge Familien schafft. Denn wenn man die Kleinen schon befragen könnte, dann würden wohl 100 % bei ihrer Mama sein (und bleiben) wollen. Niemals würden sie sich eine Einrichtung wie eine Krippe selbst ausdenken, wie der Krippenforscher Matějček es formuliert hat.
Ein Kind ohne Mutter ist eine Blume ohne Regen. (Indisches Sprichwort)
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