Donnerstag, 18. Juli 2019

Die Digitalisierung in der Realität ist nicht mehr weit entfernt

Ein kritischer Beitrag über dieses Thema aus dem Manager Magazin

Tja .. Jürgen und ich haben seit 2011 einen digitalen Job.

Der hat Vor- und Nachteile.

Aber ein Vorteil gehört unter Garantie nicht dazu, nämlich der, dass man mit wenig Arbeit schnell reich wird.

Um überhaupt davon leben zu können, müsste man sich schier totschuften.

Als Nebenjob ist es okay und weil man dabei seinen Kopf benutzen muss und nicht verblödet, macht es auch Spaß.

Der Stundenlohn .. und das ohne Sozialversicherung, die da gar nicht drin wäre ... liegt weit unterm Mindestlohn und damit auch weit unter dem jeder Putzfrau.

Man hat keinen Urlaubsanspruch, keinen Kündigungsschutz, es gibt keine Transparenz, keine jährlichen Lohnerhöhungen oder Geld, falls man mal krank wird.

Es gibt  null Sicherheit in diesem Job.

Und obwohl es seit Jahren Zusammenschlüsse derartiger Plattformen gibt, wo seit ein paar Wochen auch die Plattform dazugehört, für die wir gern arbeiten, weil sie uns von allen am besten gefällt .. nein das hat bisher rein gar nicht dazu geführt, dass solche Crowdworker-Jobs das sind, was sie sind.

Sehr schlecht bezahlte, dafür aber meistens anspruchsvolle Tätigkeiten, die zwar Spaß machen können, aber nicht zum Leben reichen.

Nun mal ein paar kritische Worte zum Schönreden der digitalen Zukunft in Deutschland, die Jürgen und mir, da wir genug Erfahrung damit haben, wirklich aus der Seele sprechen.

Ich zitiere wie immer was davon .. Rest bitte dann selbst lesen.


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Nein, Digitalisierung ist keine Party. Nein, Veränderung ist nicht immer nur Spaß. Und nein, in Zukunft werden wir nicht alle im Home Office sitzen, drei Stunden am Tag arbeiten und dabei auch noch ein Schweinegeld verdienen. Wer solche Erwartungen weckt, der agiert entweder maximal unwissend oder maximal unseriös.

Digitalisierung made in Germany ist ein geradezu biblisches Paradies: Kaum einer muss mehr arbeiten, die Menschen sind nett zueinander, es geht allen gut und irgendwer backt immer einen leckeren Kuchen im Home Office. Diesen Eindruck zumindest gewinnt man, wenn man auf Twitter, Instagram und Co. den einschlägigen Meinungsführern zuhört. Bei Microsoft arbeitet man ganz "new workig" aus dem Bulli heraus, bei MediaSaturn spricht man großspurig über "agile IT und Scrum", obwohl es neulich für den Verkäufer im Markt bereits eine große Herausforderung war, mir den Preis einer nicht ausgezeichneten Kaffeemaschine zu nennen. Und die Versicherung LV 1871 begrüßt ihre neuen coolen Mitglieder standesgemäß mit einer Pizza.
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 Den Diskurs über die Digitalisierung in Deutschland bestimmen gut bezahlte Corporate Influencer mit siebenzeiligen LinkedIn Börsen-Chart zeigen-Jobbeschreibungen. Diese selbsternannten Propheten posten luftige Buzzword-Girlanden, Emoticons, Bilder von akkurat bemalten Flipcharts, alle lächeln, Hashtag #newwork. All diese anstrengend unangestrengten Mit-dem-Selfiestick-im-Coworking-Space-Rumsteher sollen vor allem eines vermitteln: Läuft bei uns. Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle, New Work, alles kein Thema, alles easy. Sich gegenseitig retweetend, stilisieren sich die Digital Evangelists zu Vordenkern einer digitalen Welt von morgen und sagen doch: nichts. Rein gar nichts.
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In Wahrheit sind all diese Feel-Good-Dampfplauderer und Positivity Spreader nichts als plumpe Werbemittel, die lediglich etwas geschickter getarnt sind als eine Litfaßsäule. Doch viel zu häufig werden diese vermeintlichen Meinungsführer nicht als das wahrgenommen, was sie sind - nämlich Werbeträger -, sondern als ernsthafte Botschafter einer neuen Arbeitswelt, die vermeintlich Antworten auf zentrale Fragen der Wertschöpfung von morgen liefern können - eine Farce.
Wir stellen sie auf Konferenzbühnen und lassen uns von ihnen beraten, als wäre die Digitalisierung in erster Linie ein Kommunikationsthema und nicht eine grundlegende strategische Fragestellung. Wer die digitale Transformation seines Unternehmens ernsthaft angehen will, muss zunächst sehr grundsätzlich seine eigenen Strukturen analysieren und überdenken, analoge Prozesse in digitale transformieren und anschließend auf Basis dieser Introspektion neue Geschäftsmodelle entwickeln. Wer Beratern glaubt, die etwas anderes behaupten, braucht nicht einmal Wettbewerber, um langfristig unterzugehen.
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 https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/digitalisierung-macht-den-leuten-nichts-vor-a-1275558-2.html

Nächste Seite .. da geht es weiter .. auch hier noch einige Auszüge.
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Macht den Leuten nichts vor!

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Überdies sollte jeder Konzern ernsthaft darüber nachdenken, ob er für die massiven Herausforderungen der nächsten Dekade tatsächlich Mitarbeiter braucht, die einen Job wollen, weil er lauter Leckerli bringt. Oder ob nicht doch Leute besser wären, die Lust auf den Job und Spaß an der Herausforderung haben.

 Hinzu kommt: Wer derart anbiedernd-positiviert kommuniziert, der läuft Gefahr, auf Sicht die eigenen Mitarbeiter abzuhängen. Der Großteil der Konzernbelegschaften arbeitet Tag für Tag hart und fremdelt bis heute mit der Berlin-Mitte-Start-up-Kultur, die so rein gar nichts mit ihrer Arbeitswirklichkeit zu tun hat. Wer diesen kulturellen Clash ohne Not befeuert, verstärkt im Zweifel nur die Ablehnungstendenzen gegen jede Art von notwendiger Veränderung.
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 Achtet stattdessen darauf, dass ihr den Arbeitsalltag für eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sinne von New Work zum Positiven verändert, dass ihr Prozesse und Strukturen fit für das digitale Zeitalter macht, dass ihr die Digitalisierung ernsthaft betreibt und sie nicht nur inszeniert. Erzählt den Menschen, wie mühsam Innovationen wirklich entstehen, wie weh Veränderungen tun können. Erzählt den Leuten, dass es Arbeit ist. Und hört auf, ihnen etwas vorzumachen. Denn Digitalisierung ist harte Arbeit - und das wird fürs Erste auch so bleiben.
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 Tja .. und der redet noch von den Menschen, die heute jung sind, was studiert haben, das in der neuen digitalen Arbeitswelt dringend gebraucht wird . .und nicht dem Fußvolk, das auch später davon leben können muss .. nämlich Menschen wie Jürgen und mir, die das gar nicht gelernt haben, sondern sich irgendwie eingearbeitet.

Und das gilt für Millionen von Crowdworkern.

LG
Renate

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